Rache der Königin
hinaufzuhelfen, und sobald er in seinem Gemach war, rief man die Ärzte.
Schon säten aber die Klatschmäuler vom Hof Panik im Palast, indem sie in alle Winde schrien, der König habe die Pest, und
die Pest verbreite sich jetzt über den ganzen Palast und werde uns alle töten.
Doktor Bouvard, der Ludwig mit Beringhens Hilfe entkleidete, sah sofort, daß es nicht an dem war, und trat auf Richelieus
inständige Bitte vor die Tür, um die Höflinge zu beruhigen, denn schon verkündigten etliche, sie würden, um der Ansteckung
auszuweichen, sofort ihre Koffer packen und den Ort schleunigst verlassen. Ich begleitete Bouvard, um dem Klagen, Schluchzen
und Heulen der kopfscheuen Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Bei unserem Anblick wich alles mit einem Entsetzen zurück, als
wären wir selbst von der Pest ergriffen. Mit Stentorstimme gab ich also bekannt, daß der König nicht die Pest habe, und erbat
Ruhe, um dem Doktor Bouvard Gehör zu verschaffen.
»Es ist absolut sicher«, sprach Bouvard, »daß der König nicht die Pest hat, denn er weist keines der Anzeichen dieser Seuche
auf, er hat keine Geschwülste, keine Beulen und keine Purpurröte.«
Trotzdem war die Menge durch diese Worte nur halb beruhigt, und ich riet Bouvard, seine Worte näher zu erläutern, wozu |199| er sich nur widerwillig herbeiließ, denn unsere Ärzte hüllen sich zu gerne in die Geheimnisse ihres erworbenen Wissens.
»Die Anzeichen«, sagte Bouvard also, »an denen man erkennt, ob ein Mensch von der Pest befallen ist, sind zum ersten eine
dicke Schwellung unter der rechten Achsel, welche man Pestgeschwulst nennt. Zum zweiten schwarze Pusteln am Bauch, die sogenannten
Pestbeulen, und zum dritten kleine Eiterpunkte auf der Brust, die sogenannte Purpurröte. Seine Majestät weist keines dieser
Symptome auf. Sie hat also nicht die Pest.«
Hierauf nahm ich wieder das Wort, empfahl den Anwesenden in entschlossenem Ton, sich still zurückzuziehen und keinen Lärm
zu machen, um den König nicht zu stören. Dann zogen unterm Befehl des Comte de Guiche zwölf Gardisten auf, die Tür zu bewachen,
und bei ihrem Anblick zogen sich die Höflinge, wenn auch zögernd und unwillig, aus dem königlichen Vorzimmer zurück. Und weil
sie nun nicht mehr von der Pest lamentieren konnten, entschädigten sie sich damit, wie ich nachher hörte, die königliche Krankheit
dem Kardinal anzulasten, der Seine Majestät an verpestete Orte verschleppt habe. Diese These wurde von Königin Anna aufgegriffen
und offen unterstützt, und als sie Richelieu auf einem Flur begegnete, sagte sie wütend zu ihm: »Da haben wir es nun, was
diese schöne Reise gebracht hat!«
Bouvard rief alle Ärzte des Hofes zur Konsultation, und sie stellten fest, daß der Bauch des Königs hart und geschwollen war
und er überdies »durch die hintere Pforte« einen ständigen blutigen Durchfall absonderte. Worauf sie einen Aderlaß vornahmen,
was mich in größte Sorge versetzte in Anbetracht all des Blutes, das der König bereits verloren hatte. Als ich dies später
meinem Vater berichtete, schrie er auf vor Zorn. Denn, Leser, es wäre sehr irrig, wenn du glauben solltest, daß alle unsere
Ärzte den Aderlaß guthießen, eine aus Italien gekommene Behandlungsmethode, die auf einem unzulässigen Vergleich beruhte:
Wenn das Wasser eines Brunnens faulig ist, braucht man nur eine bestimmte Menge abzuziehen, damit der Brunnen wieder klares
Wasser spendet. Ebenso müsse man einem kranken Körper das schlechte Blut abziehen, damit er wieder reines und gesundes Blut
produziert. Aber woher weiß man, sagte mein Vater, ob das abgezogene Blut schlecht ist oder nicht?
|200| Zwei Tage lang stieg Ludwigs Fieber unaufhaltsam, während der blutige Durchfall weiterging. Sein Atem wurde kurz und fiel
zeitweilig ab bis zum Ersticken.
»Wenn Ihr seht, daß ich in Gefahr bin«, sagte der König mit schwacher Stimme zu Pater Suffren, der ihm Trost zuzusprechen
versuchte, »laßt es mich rechtzeitig wissen. Ich habe keine Angst vorm Tod.«
Am siebenundzwanzigsten September gaben die Ärzte ihn verloren, Pater Suffren jedoch, der ihm dies nicht mitzuteilen wagte,
sagte, es wäre gut, an diesem seinem Geburtstag zu beichten und zu kommunizieren.
»Gut«, sagte Ludwig, »zumal ich fürchte, daß mein Geburtstag mein Todestag wird.«
Dann fuhr er fort, ohne daß sein Gesicht irgendwelche Traurigkeit oder Furcht zeigte: »Ich werde heute neunundzwanzig Jahre
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