Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
Malerei her interessant erschien. »Melden Sie sich in zwei Wochen!«, sagte sie, dann bin ich gegangen. In erster Euphorie wickelte ich die Kanne bereits auf dem Treppenabsatz wieder aus und erkannte die blauen Schwerter unten auf dem Kannenboden, die mit einem Pünktchen zwischen den Knäufen versehen waren. Es handelte sich um die Zeit von 1763 bis 1774, also um eine interessante Periode in der Meissner Manufaktur. Das wusste ich von meinem Vater, der sich irgendwann einmal mit dieser Materie beschäftigte. Wenigstens fand mein Tag ein einigermaßen angenehmes Ende.
Am nächsten Morgen kreuzte ich bei Kalle auf, obwohl er private Besuche nicht mochte. Vielleicht war das bei Mackenrodt anders. Ich klingelte trotzdem an seiner Wohnungstür – nichts! Möglicherweise war die Klingel zu leise und Kalle hörte sie nicht. Ich beäugte das Schlüsselloch und stellte fest, dass der Schlüssel von innen steckte. Ich trat mit der Fußspitze an die untere Seite der Tür, die sich nun langsam einen Spalt öffnete. Der blonde Wuschelkopf Irmas erschien. Sie glotzte stockbesoffen und halbnackt ins Treppenhaus an mir vorbei. Dann fiel ihr Blick auf mich. »Kallää«, rief sie, » hier is Drehwolkää!« Kalle tänzelte zur Korridortür, voll wie eine Radehacke und machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen. Als er merkte, dass ich meinen Fuß in der Tür hatte, versuchte er, mich ans Schlafittchen zu nehmen. Kalle war fertig auf den Röhren, ließ die Tür Tür sein und torkelte zurück in den Flur. Dort fiel er hin, so lang wie er war und blieb auf dem Fußboden liegen. Mein Blick fiel auf pechschwarze Fußsohlen, die einem »Weltmann« gehörten und auf dessen Unterwäsche, die vor Dreck stand. In einer Flurecke lehnte das Fragment einer Flurgarderobe, zusammengeknallt eben aus zwei älteren Bett-Kopfenden. Irma hatte dieses Teil also zweimal verkauft, erst an mich und dann an Kalle. Irma befand sich kurz vorm Delirium. Sie nahm jedoch ihre fünf Sinne zusammen.
Mackenrodt war von seiner Berlinreise zurück und suchte Kalle sofort auf. Der soff hinter verschlossener Wohnungstür den dritten Tag nonstop. In der Georg-Schumann-Straße angekommen, entdeckte Mackenrodt seinen zum Totalschaden zertrümmerten Lieferwagen. Er sprang die Treppe hoch. Trotz seiner Korpulenz nahm er zwei Stufen mit einem Mal. Als er keuchend an Kalles Wohnungstür klingelte, rührte sich zunächst nichts, dann wummerte er kräftig an die Tür. Kalle öffnete und kippte Ulli Mackenrodt wie ein überlasteter Kleiderständer entgegen, da war nichts zu machen, Kalle hatte sich in ein Delirium tremens gestürzt. Da war auch nichts zu verhandeln, weil Kalles Bewusstsein entschwunden war. Mackenrodt knallte die Wohnungstür hinter sich zu, begab sich zu mir und forderte Aufklärung zur Sachlage. Ich berichtete ihm von Kalles Verkehrsdesaster, also von der Kollision mir der Straßenbahn. Natürlich informierte ich gleichzeitig vom Ankauf Kalles bezüglich achtziger Spitzwegfalsifikate und vom Erwerb dreier Kommoden und zweier Schreibsekretäre. Jetzt war ich wohl auch noch Mackenrodt’s Sündenbock, denn er machte mich dafür verantwortlich, dass Kalle gestrauchelt war. Die Ankaufskoryphäe Kalle Zangenberg existierte für ihn nicht mehr. Mich benötigte Mackenrodt dringend in Kreuzberg. Dort waren einem türkischen Händler einige hundert Schellackplatten und ca. zweitausend alte Ansichtskarten zu übergeben. Vom kommenden Samstag zum Sonntag war Flohmarkt am Brandenburger Tor. Da ich mich auch in der türkischen Händlerscenerie mittlerweile gut zurechtfand, hatte ich bei Mackenrodt freie Hand.
Am nächsten Tag versuchte Mackenrodt, sich Zangenberg zur Brust zu nehmen. Nach langem Hin und Her gelang es ihm auch. Kalle war inzwischen einigermaßen nüchtern. Irma hatte ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans und den Messie Konrad Zangenberg seinem Chaos überlassen. »Zu guter Letzt«, sagte sie, »habe ich mich auch von Kalle nicht betätscheln lassen, weil der so war wie sein Müll!«. Anfangs war ich eifersüchtig auf Kalle, wegen des scheinbar intimen Verhältnisses zu Irma, doch jetzt war ich einigermaßen beruhigt, wollte ich doch den Kontakt zu Irma nicht verlieren! Umso wütender war ich auf den Hochstapler Zangenberg, der natürlich das Verhältnis zwischen mir und Mackenrodt empfindlich ins Wanken brachte. Von den dreißig »Riesen«, die er dem »Starankäufer« Kalle vertrauensvoll überließ, existierte nur noch ein Fünftel. Ein Teil
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