Rache ist lavendelblau
Jahren verstorben, er bot Sicherheit, war charmant und sie hatten gemeinsame Interessen. Während ihres Spazierganges hatte der Italiener Heidrun mit dem Geständnis verblüfft, Johann Sebastian Bach über alle anderen Komponisten zu stellen. Heidrun liebte Bach über alles, aber in der Thomaskirche in Leipzig war sie noch nie gewesen. Massimiliano hingegen hatte dem Thomanerchor gelauscht und an Bachs letzter Ruhestätte eine Rose niedergelegt.
„Und das soll ein echter Italiener sein? Kein Verdi, keine Aida mit viel Trara in der Arena zu Verona?“ Heidrun musste lachen.
„Warum lachst du?“, fragte die Naturgewalt, und ganz sanft legte Massimiliano seinen starken Arm um Heidrun, die die Nähe mit einem Male gerne zuließ.
„Ich würde gerne mit dir Bach lauschen“.
„Den alten oder einen frischen Bach?“, witzelte Massimiliano und grinste dabei lausbubenhaft. Noch am Heimweg mussten sie über den Scherz lachen; Chiara und Solveigh waren schon im Haus, als die beiden vergnügt und Hand in Hand zurückkehrten.
„Läuft da was? Haben wir was versäumt?“, fragte Solveigh.
Chiara war wieder mit Solveigh unterwegs, sie hatten noch einen Termin in einer Kirche, in der die Restauratorin an einer Freskenrenovierung teilnahm. Die Kinder waren bei Freunden und Heidrun hatte bemerkt, dass Elisabetta den Klarinettenkoffer unter dem Arm trug, als die Teenager das Haus verließen.
„Ich freue mich, dass ich ihnen eine Freude mit der Klarinette und der Uhr ihres Vaters machen konnte“, sagte Heidrun, die sich auf einer Bank im herbstlichen Garten neben Massimiliano niedergelassen hatte.
„Das war sehr großzügig von dir“, antwortete er und seufzte. Die Frage nach Heidruns Gefühlen Chiara gegenüber stand im Raum, doch Massimiliano unterdrückte seine Neugier. Er lehnte, mehr als er saß, auf der alten Steinbank, sein Blick schweifte gedankenverloren in die Ferne.
Heidruns Blick ruhte auf ihm: „Ein interessanter Mann, sein dunkelbraunes Haar weist, anders als bei seiner Tochter, noch keine weißen Strähnen auf. Er trägt schon den dritten Tag weiße Leinenhose und Leinenhemd, elegante Schuhe und keine Socken. Komisch, bei uns trägt jeder Mann Socken, ist wohl so eine italienische Eigenheit, Schuhe ohne Socken zu tragen. Eine interessante Nase hat er, so römisch und so schöne Augen und so kräftige Hände, Hände die zupacken können.“
„Darf ich dich anrufen, wenn du wieder zuhause bist?“, fragte Massimiliano ganz unvermittelt und rief Heidrun von ihren Betrachtungen zurück.
„Ja, ja gerne“, antwortete sie stockend. „Ich möchte dir nur sagen …“, Heidrun kam nicht mehr weiter. Ein starker Arm zog sie an seine breite Brust, drückte sie fest, zog sie zu sich hoch und küsste sie heftig und stürmisch. Heidruns Abwehr erlahmte rasch. Nach Minuten der Leidenschaft und dem Loslassen blickte sie bedrückt zu Boden. „Ich wollte dir sagen, dass ich …“, dabei fasste sie nach Massimilianos Hand.
„Nicht sprechen, bitte, nicht, ich verstehe dich auch so“, unterbrach er sie und hauchte noch einmal einen zarten Kuss auf ihre Lippen. Heidruns Körper schmerzte plötzlich, die Krankheit meldete sich nach Tagen wieder zurück.
*
Nur nichts anmerken lassen …
„Wir werden Großeltern“, sagte Desider und schmunzelte verlegen.
„War er nur gekommen, mir das zu sagen? Oder will er doch mit mir schlafen? Ich will nicht, ich habe Schmerzen.“
„Schön für dich, äh, euch, wann ist es denn so weit?“
„Im Frühling soll das Kind kommen, kommt ein wenig ungelegen, jetzt, wo es meiner Frau nicht so gut geht“.
Heidruns „aha“, kam von weiter Ferne. Dass es ihr, Heidrun, auch nicht so gut ging, hatte Desider nicht bemerkt, und das verbitterte sie ein wenig.
„Ich werde meine Frau für einige Zeit in eine Spezialklinik bringen, unser Sohn hat da etwas ganz Tolles im Auge, er nimmt gerade mit denen Kontakt auf.“
Was will er? Ist er gekommen, um mit mir über seine Frau zu sprechen? Will er sich an meine Schulter lehnen? Ich bin kein Grabstein zum Anheulen. Sein Sohn, aha, ganz was Neues. Sein Sohn, hat ja sonst noch nie einen Finger gerührt. Nicht einmal Sex will er heute.
Heidrun blickte Desider teilnahmslos an. Er hatte sie kurz vor Büroschluss angerufen und seinen Besuch angekündigt. Sie hatte sich auf einen netten Abend eingestellt und stattdessen? Der ehemals so begehrte Mann saß ihr gegenüber, als wäre er irgendwer, eine Zufallsbekanntschaft aus dem Krankenhaus oder ein
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