Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
ja, dann würden sie so jemanden von derselben Sorte ja nicht noch mal wollen, oder?«
Es wurde immer schlimmer!
»Sie meinen, die wollten nicht noch mal einen geistig unabhängigen, erfahrenen Mann mittleren Alters, sondern viel lieber eine junge, unerfahrene Frau, die sich nicht trauen würde, Ärger zu machen, und falls doch, wahrscheinlich kaum ernst genommen werden würde.«
Proctor blickte ziemlich kleinlaut drein.
»Ja, so ungefähr, Miss. Aber dann hab ich allmählich gemerkt, dass sie sich die Falsche ausgesucht hatten, und da hab ich angefangen, mir Sorgen zu machen.«
»Weil Sie fürchteten, ich könnte auch bei einem Unfall ums Leben kommen, wie Ruskin?«
Er sah sie erschrocken an und schüttelte heftig den Kopf.
»Legen Sie mir keine Worte in den Mund, Miss. Ich würde nicht eine Sekunde lang behaupten, es hätte da eine Verbindung gegeben zwischen seiner Kündigung und dem Unfall. Ich meine, der war dermaßen außer sich, da musste ja was passieren. Aber als ich dann anfing, mir Sorgen zu machen, Sie würden denselben Weg einschlagen …«
Er stockte, als fürchtete er, ein so unmännliches emotionales Gebiet wie Mitgefühl zu betreten. Oder aber ihm war gerade der schwarze Humor seiner Metapher bewusst geworden.
Alva ergriff wieder das Wort.
»Und nachdem Sie drüber nachgedacht hatten, sind Sie diese Woche zu dem Schluss gekommen, es wäre vielleicht am besten, einfach zuzulassen, dass ich mit der Begründung abserviert werde, ich wäre ungeeignet für den Job, ein gescheitertes Experiment? Hätte Ihr Leben sehr viel einfacher gemacht, was?«
Die Verbitterung, die sie empfand, richtete sich nicht gegen ihn, aber sie konnte nicht verhindern, dass sie in ihrer Stimme mitschwang.
Er sagte behäbig: »Völlig richtig, Miss. Purer Egoismus. Wenn Sie sich wohlbehalten und frei einen neuen Job suchen würden, das würde mir absolut gefallen. Die Sache ist nämlich die: Unfälle passieren nun mal, damit müssen wir leben. Aber wenn ein Unfall zweimal passieren würde, dann müsste ich den Mund aufmachen. Keine Ahnung, ob es was nützen würde, aber es wäre das Ende meiner Karriere, da bin ich mir ziemlich sicher. Dann sag ich mal gute Nacht, Miss.«
Er wandte sich ab und ging zurück zu seinem Auto.
Plötzlich schämte Alva sich.
Sie rief ihm nach: »George!«
Er blieb stehen und drehte sich um.
»Ja, Miss?«
»Es tut mir leid. Ich hab keinen Grund, Ihnen irgendwelche Vorhaltungen zu machen, ich kann Ihnen nur danken. Sie haben sich wie ein guter Freund verhalten. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Aber ich werde es niemandem sagen, es sei denn, es kommen Daumenschrauben zum Einsatz.«
Das entlockte ihm ein Lächeln.
»Ich schätze, die Schrauben müssten sie schon ordentlich anziehen, um Sie zum Reden zu bringen, Miss. Also, machen Sie’s gut.«
Alva sah zu, wie er ins Auto stieg und davonfuhr.
Wahrscheinlich sind wir bei den meisten aktuellen politischen und sozialen Themen unterschiedlicher Ansicht, dachte sie. Aber er ist ein Mann mit Moral!
Homewood dagegen, von dem sie gesagt hätte, sie würde weltanschaulich mit ihm nahezu vollkommen auf einer Wellenlänge liegen, und John Childs, den sie geachtet und bewundert hatte, hatten sie nicht etwa ausgesucht, weil sie eine neue Generation von Psychiatern repräsentierte, sondern weil sie unerfahren war, leicht zu beeinflussen und abzulenken, leicht wieder loszuwerden, falls es hart auf hart kam …
Irgendetwas an ihrem Verhalten in Childs Haus musste ihm verraten haben, dass sie anfing, Fragen zu stellen. Er wusste sicherlich von Homewood über ihr besonderes Interesse an Hadda Bescheid, und vielleicht hatte er bemerkt, dass sie das Foto entdeckt hatte. Zumindest hatten ihre Ausflüchte, als er sich erkundigte, welche dringende Angelegenheit sie mit ihm besprechen wollte, bestimmt nicht gerade überzeugend geklungen. Sie hatte so getan, als ginge es bloß um ihre Befürchtung, Homewood könnte jetzt, da seine Ehe in die Brüche ging, versuchen, einen direkten Annäherungsversuch zu starten, und um die Probleme, die sich daraus in ihrem Arbeitsverhältnis ergeben würden. Als wäre Childs eine Kummerkastentante! Herrje!
Ein kurzes Gespräch mit Homewood hatte seinen Argwohn wahrscheinlich bestätigt. Vielleicht war dem Direktor durch Childs’ Nachfragen klar geworden, dass er ein größeres Wissen hinsichtlich ihrer Gespräche mit Hadda hatte durchblicken lassen, als er hätte haben sollen.
Wie auch immer, gleich am nächsten Tag
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