Racheakt
ihn seit einigen Tagen begleitete, tatsächlich Angst vor einem konturlosen Psychopathen war, der ohne Skrupel mordete, seine Opfer willkürlich auswählte, um ihnen dann Unbeschreibliches anzutun – oder eher Angst davor unfähig zu sein, ihn dingfest zu machen und das Spiel zu verlieren? War das ein weiteres Indiz dafür, dass er älter wurde?
Nachtigall beschloss, sich selbst gut im Auge zu behalten. Zum Altwerden hatte er später noch Zeit!
»Dann gehen wir wohl am besten so vor wie immer in solchen Fällen: Wir checken, wo unsere Tatverdächtigen sich aufgehalten haben, als diese Mail abgeschickt wurde. Wir schicken einen Wagen zu Grabert und einen zu Wilde. Gibt es sonst noch jemanden aus dem Umfeld der Opfer, der sich mit Computern gut auskennt?«, versuchte Skorubski einen neuen Ansatz.
»Ich fürchte, wir müssen uns da einen wichtigen Punkt richtig klar machen: Er muss seine Opfer gar nicht persönlich kennen. Vielleicht weiß er, wer bei Candle-Light arbeitet – vielleicht war es aber auch nur Zufall, dass alle drei Mädchen von dieser Agentur vermittelt wurden. Das letzte Opfer war nach Aussage ihres Freundes längst ausgestiegen, das erste auch. Ich stelle mir eher vor, dass er umherstreift und sie sich seinen Vorstellungen entsprechend aussucht. Dann verfolgt er das Mädchen und tötet es an geeigneter Stelle. Selbst wenn er ihm einige Tage folgt, das Moosbett vorbereitet und eine gute Stelle für den Überfall auswählt, muss das Opfer nichts davon bemerkt haben. Nach dem Mord beginnt er mit den massiven Verstümmelungen, um seine pervertierte Lust zu befriedigen. Wir wissen nicht, wie er vorgeht, nachdem er die Planung für die Verstümmelungen auf der Puppe vorgezeichnet hat«, erklärte Peter Nachtigall nachdenklich.
»Wobei es natürlich seltsam ist, dass er immer schon die weiterführende Planung im Kopf hat, während er die aktuelle Tat ausführt. Wenn das zu seinem Schema gehört, bleibt unverständlich, warum er sein Wunschbild nicht sofort in die Tat umsetzt um tiefste Befriedigung zu erfahren. So bleiben ja immer noch Sehnsüchte offen«, Emile Couvier schien auch ratlos zu sein.
»Sie meinen, er plant die Eskalation ausgesprochen gründlich. Das wird nicht emotional gesteuert?«, hakte Nachtigall nach.
»Doch. Die Wünsche schon. Allerdings ist diese akribische und langfristige Planung sehr auffällig. Es könnte darauf hindeuten, dass er nichts dem Zufall überlassen möchte. Es bedeutet aber nicht, dass er eines der Opfer gekannt haben muss.«
Das Schweigen dauerte lange.
»Vielleicht legt er zum Beispiel nur die Haarfarbe des nächsten Opfers fest und seine Planung. Möglicherweise legt er auch an verschiedenen Stellen des Waldes solche Betten an – für den Fall, dass er eines in der Gegend braucht. Und wenn er dann ein Mädchen sieht, ….«
»Also, ich glaube, er hat jedes Mal ein konkretes Opfer im Auge, wenn er da mit seiner Barbiepuppe sitzt und die Verstümmelungen plant. Er hat sich schon vor dem aktuellen Mord, den er erst noch begehen möchte, schon das nächste Opfer ausgesucht. Er schleicht ihr nach, spioniert ihre Wege aus und legt ein Moosbett an einem günstigen Platz an. Der Erkennungsdienst hat keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass er das »Arrangement« etwa schon vor Wochen vorbereitet hätte«, energisch reckte Peter Nachtigall sein Kinn vor.
»Und das bedeutet, dass jetzt ein ganz bestimmtes Mädchen in akuter Gefahr schwebt. Er schleicht ihr schon nach, spioniert sie aus. Ein gut gebautes Mädchen mit dunklen Haaren – wie bei der letzten Puppe. Nicht zu groß. Davon gibt es Dutzende in der Stadt«, stöhnte er dann und versuchte den panischen Schrecken beim Gedanken an Jule zu unterdrücken. Mit einer unwilligen Bewegung wischte er sich den feinen Schweißfilm von Stirn und Oberlippe.
Emile Couvier und Dr. Pankratz nickten nahezu synchron.
»Vielleicht können wir mit einem geschickt formulierten Text an die Öffentlichkeit gehen, der ihn etwas beruhigt. Wir könnten versuchen proaktiv auf ihn Einfluss zu nehmen und sein Verhalten für uns vorhersehbarer machen. Was will er am dringendsten? Aufmerksamkeit! Die hatten wir ihm verweigert und er hat nachgelegt. Und er wirft der Polizei vor, ihn und seine Mission nicht zu verstehen. Er will also etwas erklären. Demnach wäre es keine schlechte Idee ihm jetzt anzubieten sich verstehbar zu machen.«
»Sie wollen, dass wir ihm eine Plattform geben sich darzustellen?«, fragte Skorubski
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