Rachegott: Thriller
Dieser gegenüber befand sich eine Schrankwand, in der ein alter Fernseher seinen Platz fand. Einige Bücher stapelten sich in den Regalen darüber.
„Ich habe schon von Lutz erfahren, dass meine Schwester ermordet wurde“, gab Paul mit einer Bassstimme von sich. „Deswegen sind Sie bestimmt hier, nicht wahr? Lutz wird Ihnen erzählt haben, dass ich in letzter Zeit einige Auseinandersetzungen mit Trude hatte. Daher möchten Sie herausfinden, ob ich ihr Mörder bin.“
Nora nickte. „Sie verstehen sicherlich, dass wir jeder Spur nachgehen müssen.“
Paul deutete auf die Couch, woraufhin die Ermittler dankend Platz nahmen. Der 56-Jährige selbst blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Er trug eine Jeans zu einem grünen Pullover. Seine wenigen Haare standen ihm zu Berge. Der Ansatz seines Bauches war unter dem Pullover zu erkennen.
„Natürlich verstehe ich das. Müsste ich an Ihrer Stelle die Ermittlungen durchführen, dann wäre ich auch zu mir gekommen. Immerhin liegt es nahe, dass ich etwas mit dem Mord zu tun haben könnte. Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Ich habe meine Schwester seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Ich habe auch nicht mit ihr telefoniert oder sonstigen Kontakt zu ihr gehabt. Nach unserem letzten Streit hielten wir beide es für besser, uns gegenseitig einige Zeit in Frieden zu lassen. Manchmal ist eine Trennung das einzige Mittel, um sich zu beruhigen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Das gilt für Ehepartner genauso wie für Geschwister. Davon bin ich überzeugt, obwohl ich niemals verheiratet war.“
„Können Sie uns sagen, worum es in dem letzten Streit mit Ihrer Schwester ging?“
„Um Geld. Ich habe Trude gebeten, mir finanziell etwas unter die Arme zu greifen. Derzeit bin ich nämlich knapp bei Kasse. Hingegen besitzt meine Schwester aufgrund ihrer Romanverkäufe ein kleines Vermögen. Deswegen bin ich davon ausgegangen, dass sie mir ein wenig davon abgeben würde. Aber sie weigerte sich strikt, mich zu unterstützen. Sie hegte die Befürchtung, dass ich sie immer wieder anpumpen würde, wenn sie einmal nachgäbe.“
„Sie gab Ihnen also kein Geld?“
„Nein.“
„Und wie dringend sind Sie auf Geld angewiesen?“
„Es ist nicht so, dass ich im nächsten Monat am Hungertuch nagen müsste. Aber Ende des Jahres könnte es allmählich eng werden. Und da ich immer gerne im Voraus plane, bat ich meine Schwester bereits jetzt um Hilfe. Ganz offensichtlich war sie aber geiziger, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.“
Nora zog ihren Notizblock hervor und notierte sich diese Informationen. Dann wollte sie wissen: „Was machen Sie beruflich, Herr Weishaupt?“
„Ich bin Maurer. Aber die Auftragslage ist momentan mehr als dürftig. Die Konkurrenz wächst ständig. Mein Chef hat bereits Kurzarbeit angemeldet.“
„Dann werden Sie sicherlich verstehen, dass die ganze Sache nicht besonders rosig für Sie aussieht. Geld ist immer ein starkes Mordmotiv“, gab Thomas von sich, wobei er Paul aufmerksam musterte. Er wollte dessen Reaktion auf diese Anspielung genau analysieren.
Der 56-Jährige hatte jedoch nur ein Lächeln für Tommys Bemerkung übrig. „Denken Sie ernsthaft, dass ich meine Schwester getötet habe, weil sie mir kein Geld leihen wollte? Das wäre doch wirklich armselig von mir. So etwas habe ich nicht nötig. Ich bin ein friedliebender Mann.“
„Laut Aussage Ihres Schwagers waren die Dispute mit Ihrer Schwester aber immer recht impulsiv. Daher könnte es doch sein, dass Sie entgegen Ihrer friedlichen Grundeinstellung plötzlich die Nerven verloren haben. Schließlich sind Sie auch nur ein Mensch. Und Menschen machen manchmal Dinge, zu denen sie sich in einer Notlage gezwungen sehen. Auch wenn diese Handlung vollkommen im Widerspruch zu ihrer Natur steht.“
„Das mag sein. Sie werden in diesem Bereich mehr Erfahrung haben als ich. Doch Sie können Impulsivität schwerlich mit Wahnsinn vergleichen. In dieser Hinsicht gibt es viele Abstufungen. Ich kann durchaus aufbrausend werden. Das streite ich nicht ab. Aber deshalb bin ich noch lange nicht in der Lage, jemanden zu töten. Es gehört schon etwas mehr dazu, um diese Schwelle zu überschreiten.“
„Nicht unbedingt“, merkte Thomas kühl an.
„In meinem Fall aber ganz sicher.“
Nora ergriff wieder das Wort: „Haben sich alle Auseinandersetzungen mit Ihrer Schwester um Geld gedreht?“
„Nein, manchmal hatten wir auch andere Meinungsverschiedenheiten. Diese
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