Racheklingen
Morveer.
Orso warf einen Seitenblick auf den Mann mit den Locken. Er hatte verschiedenfarbige Augen, wie Morveer jetzt bemerkte, eines blau, das andere grün. »Ich gratuliere Ihnen zu dieser Leistung. Obwohl sie mir und meinen Partnern beträchtliche Unannehmlichkeiten bereitet hat. Wären Sie wohl so freundlich, mir zu erklären, weshalb ich Sie deswegen nicht töten lassen sollte?«
Morveer versuchte, das mit einem gut gelaunten Kichern beiseitezuwischen, doch in der Kühle des riesigen Saals erstarb sein Lachen langsam. »Ich … äh … ich hatte natürlich keine Ahnung, dass Ihnen dies auch nur das
geringste
Ungemach bereiten würde. Keine. Es ist ohnehin nur dem bedauerlichen Versagen oder vielmehr dem absichtlichen Übersehen, der willentlichen Unehrlichkeit, gar einer
Lüge
seitens meiner verfluchten Gehilfin zuzuschreiben, dass ich diese Aufgabe überhaupt annahm. Ich hätte diesem gierigen Luder niemals vertrauen …« Er merkte, dass er sich keinen Gefallen damit tat, wenn er Toten die Schuld gab. Große Männer wollen Lebende, die sie zur Verantwortung ziehen können, die sie dann foltern, hängen, köpfen können. Leichen bieten keinerlei befriedigende Vergeltung. Schnell änderte er seine Strategie. »Ich war lediglich das Werkzeug, Euer Exzellenz. Nur die Waffe. Eine Waffe, die ich Ihnen nun anbiete, damit Ihre Hand sie schwingen kann, so wie Sie es für richtig halten.« Er verneigte sich erneut, diesmal noch tiefer, und die Bauchmuskeln, die er bei dem Aufstieg auf den verdammten Berg von Fontezarmo bereits über Gebühr beansprucht hatte, bebten, als er sich bemühte, dabei nicht vornüberzufallen.
»Sie suchen einen neuen Dienstherrn?«
»Murcatto erwies sich mir gegenüber ebenso verräterisch wie gegenüber Eurer Fürstlichkeit. Diese Frau ist tatsächlich eine Schlange. Nicht zu packen, giftig und …
schuppig
.« Ein lahmer Abschluss. »Ich hatte Glück, ihren Klauen lebend zu entrinnen, und nun suche ich Wiedergutmachung.
Mit aller Macht.
Ich werde mich nicht abweisen lassen.«
»Wiedergutmachung wäre für uns alle eine schöne Sache«, raunte der Mann mit den Locken. »Die Nachricht, dass Murcatto überlebt hat, verbreitet sich wie ein Lauffeuer in Talins. Plakate mit ihrem Gesicht darauf hängen an jeder Wand.« Das entsprach den Tatsachen; Morveer hatte sie auf dem Weg durch die Stadt bereits gesehen. »Darauf heißt es, Sie hätten sie ins Herz gestochen, doch sie hätte überlebt, Euer Exzellenz.«
Der Herzog schnaubte. »Wenn ich sie niedergestochen hätte, dann hätte ich nie auf ihr Herz gezielt. Das ist zweifelsohne ihr am wenigsten verletzliches Organ.«
»Es heißt, Sie hätten sie verbrannt, ertränkt, gevierteilt und dann von Ihrem Balkon gestoßen, aber dann sei sie wieder zusammengeflickt worden und zu neuem Leben erwacht. Es heißt, sie hätte an den Furten der Sulva zweihundert Mann umgebracht. Ganz allein sei sie in Ihre Linien gestürmt, und die Männer seien auseinandergestoben wie Spreu vor dem Wind.«
»Das klingt nach Rogonts Mätzchen«, zischte der Herzog durch die zusammengebissenen Zähne. »Dieser Dreckskerl war stets eher ein geborener Schöpfer billiger Fantastereien denn ein Regent! Demnächst werden wir zu hören bekommen, dass Murcatto Flügel gewachsen sind und dass sie den wiederauferstandenen Euz gebar!«
»Das würde mich überhaupt nicht wundern. An jeder Straßenecke hängen Plakate, laut denen sie als Werkzeug des Schicksals gepriesen wird, um Styrien von Ihrer Tyrannei zu befreien!«
»So, bin ich jetzt ein Tyrann?« Der Herzog lachte kurz grimmig auf. »Wie schnell der Wind in der modernen Zeit seine Richtung ändert!«
»Man erzählt sich, sie könne nicht getötet werden.«
»Das … erzählt … man … sich?« Orsos rot geränderte Augen glitten zu Morveer. »Was sagen Sie dazu, Giftmischer?«
»Euer Exzellenz.« Morveer stürzte sich erneut in eine allertiefste Verbeugung. »Ich habe meine erfolgreiche Karriere auf das Prinzip gegründet, dass alles, was lebt, dieses Leben auch verlieren kann. Es ist eher die bemerkenswerte Leichtigkeit des Tötens und nicht die Unmöglichkeit, die mich stets verblüfft hat.«
»Haben Sie Lust, das unter Beweis zu stellen?«
»Euer Exzellenz, ich bitte Sie in aller Bescheidenheit lediglich um die
Möglichkeit,
das tun zu dürfen.« Morveer knickte erneut zusammen. Er war entschieden der Meinung, dass man sich vor Männern von Orsos Kaliber gar nicht zu oft verbeugen konnte, obwohl er zu der
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