Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
unschuldig aussehende weiße Pulver, das in einer unebenen Linie auf dem Tisch lag. Ich wäre an so was fast gestorben. Lohnte es sich, damit weiterzumachen?
Lohnte es sich wirklich?
Ja!
Ich beugte mich über mein Kokain, meinen besten Freund, meinen Retter, meinen Beschützer. Und inhalierte tief.
66
I ch wachte im Krankenhaus auf.
Allerdings wusste ich beim ersten Mal, als ich zu mir kam, nicht, wo ich war. Ich kämpfte mich aus dem Schlaf an die Oberfläche. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Es hätte das Bett eines Fremden sein können. Bis zu dem Moment, da ich die Augen öffnete, hätte ich in einem von Millionen von Betten in der ganzen Welt liegen können.
Als ich den Tropf sah, an dem ich hing, und den Geruch der Desinfektionsmittel wahrnahm, begriff ich, wo ich war. Wie ich dorthin geraten war, wusste ich jedoch nicht. Noch, was mir angeblich fehlte.
Aber ich hatte den schlimmsten Comedown, den ich je hatte. Als stünde ich an der desolatesten Stelle des ganzen Universums und blickte in einen Abgrund. Leere um mich herum, Leere in mir drin. Und alles so vertraut.
So hatte ich mich seit über zwei Monaten nicht mehr gefühlt. Ich hatte vergessen, wie wirklich schrecklich und unerträglich es ist. Und natürlich war das Erste, wonach ich mich sehnte, um dem Zustand ein Ende zu bereiten, eine neue Zufuhr von Drogen.
Was war passiert?, fragte ich mich.
Ich erinnerte mich vage daran, dass ich mit meinem neuen besten Freund Tiernan durch die hell erleuchteten, abendlichen Straßen zog. Und dass wir in einen Pub gingen und mehr tranken und mehr snifften. Dass ich eine Handvoll von meinen Temazepam einwarf, als eine leichte Paranoia einsetzte. Ich erinnerte mich, dass ich in dem neuen Pub getanzt und mich für die begnadetste Tänzerin der Welt gehalten hatte. Himmel, wie entsetzlich!
Dann war ich mit Tiernan in einen anderen Pub gegangen, wo wir noch mal Koks snifften. Dann in einen anderen Pub. Und vielleicht in noch einen, meine Erinnerung war sehr lückenhaft, ich war mir nicht sicher. Danach waren wir mit drei – waren es vier? – Freunden von Tiernan in die Wohnung von jemandem gegangen. Inzwischen war es dunkel. Und jeder hatte zwei Ecstasy-Pillen geschluckt. Abgesehen von einem verschwommenen Bild einer nachtclubähnlichen Szene, die ich mir auch eingebildet haben konnte, wusste ich einfach nichts mehr.
Ich hörte jemanden weinen, haltlos schluchzen. Meine Mutter? Zögernd öffnete ich die Augen, und alles wurde noch unwirklicher, als ich sah, dass es mein Vater war, der die Tränen vergoss.
»Bitte nicht«, krächzte ich. »Ich tue es nicht wieder.«
»Das hast du früher auch gesagt«, schluchzte er, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Ich verspreche es«, sagte ich mühsam. »Diesmal meine ich es ernst.«
Offenbar war ich angefahren worden. Die Fahrerin hatte ausgesagt, dass ich vor ihr auf die Straße gesprungen sei und sie nicht mehr bremsen konnte. In dem Polizeibericht wurde ich als »außer mir« beschrieben. Die Leute, mit denen ich zusammen war, waren weggerannt und hatten mich liegenlassen. Man sagte mir, ich habe großes Glück gehabt, denn außer einer riesigen Prellung am Oberschenkel war mir nichts passiert.
Außer, dass ich dem Wahnsinn verfiel, versteht sich.
Ich wünschte mir, tot zu sein. Ich sehnte mich danach. Mehr als die anderen Male, als ich mir auch gewünscht hatte, tot zu sein.
Verzweiflung stürzte wie ein Felsbrocken auf mich und erdrückte mich. Ein Depressionsgemisch aus den Sachen, die meine Mutter mir an den Kopf geworfen hatte, meiner Scham, weil ich rückfällig geworden war, und der Schmach mit Chris, peinigte mich.
Ich lag im Krankenhausbett, die Tränen liefen über meine Wangen auf das Kissen, und ich hasste mich mit einer dumpfen, schweren Inbrunst. Ich war eine komplette Versagerin, der größte Loser aller Zeiten. Niemand hatte mich lieb. Ich war aus dem Haus meiner Eltern hinausgeworfen worden, weil ich dumm und zu nichts nütze war. Nie würde ich wieder dorthin zurückkehren können, und ehrlich gesagt konnte ich es meiner Mutter nicht verübeln. Denn neben all meinen anderen schrecklichen Fehlern war ich auch noch rückfällig geworden.
Das war es, was mich an den Rand des Wahnsinns trieb. Ich hatte alles versiebt, hatte meine Chance, ein glückliches, drogenfreies Leben führen zu können, vertan. Ich verachtete mich, weil mein Vater so viel Geld ausgegeben hatte, damit ich in Cloisters behandelt werden konnte, und was hatte ich
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