Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
bei uns wohnte, weil er aus seiner Wohnung geflogen war. Das hieß, dass wir Anna auch öfter sahen, weil sie sich nicht mehr in ihr Versteck zurückziehen konnte.
»O nein«, murrte er. »Dabei kommt gerade die Stelle, wo er den Kerl mit den Messern im Basar erschießt.«
»Wo ist Margaret, wenn man sie braucht?«, fragte Adam.
»SCHLEIMERIN«, schallte es aus allen Mündern.
Es klingelte wieder.
»Mach mal besser auf«, riet Mum Shane, »wenn du heute Nacht nicht unter einer Brücke schlafen willst.«
Er stapfte zur Tür und kam wieder herein und murmelte: »Rachel, da ist jemand für dich.«
Ich sprang auf, weil ich dachte, es wäre vielleicht Nola, und ich hoffte, dass sie auch gern Harrison Ford sehen würde. Ich war mir sicher, dass es ihr gefallen würde. Nola mochte jeden und alles.
Aber als ich in den Flur trat, stand da, nervös und angespannt, Brigit. Ich war so schockiert, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich schaffte es gerade, hallo zu sagen.
»Hallo«, sagte sie und versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. Ehrlich gesagt war es beklemmend. Wir standen uns schweigend gegenüber und sahen einander an. Ich dachte daran, wie ich sie das letzte Mal vor vielen Monaten in Cloisters gesehen hatte, als sie dabei war zu gehen.
»Ich dachte, vielleicht wäre es ganz gut, wenn wir uns wiedersehen würden«, machte sie einen unbeholfenen Versuch.
Ich dachte an die Tausende von Gesprächen, die ich in meinem Kopf geführt hatte und in denen ich sie schonungslos in ihre Schranken gewiesen hatte: »Das dachtest du also, ja?« oder: »Aber sag mir doch, Brigit, warum sollte ich solche Leute wie dich denn sehen wollen?« oder: »Du brauchst hier gar nicht anzukriechen und zu erwarten, dass ich dir verzeihe, du sogenannte Freundin!«
Doch keine dieser Antworten schien in diesem Moment angemessen.
»Möchtest du, ehm ...« Ich machte eine schüchterne Geste in Richtung Treppe und mein Zimmer.
»Gut«, sagte sie und stieg die Treppe hinauf, ich hinterher, ihre Stiefel, ihren Mantel und ihr Gewicht einer strengen Musterung unterziehend.
Wir saßen auf der Bettkante und fragten uns gegenseitig, wie es uns ging. Es machte mich unbehaglich, dass sie so blendend aussah. Sie hatte sich Strähnchen machen lassen und hatte einen schicken New Yorker Haarschnitt.
»Bist du immer noch clean?«, fragte sie.
»Seit über acht Monaten«, antwortete ich mit schüchternem Stolz.
»Himmel.« Sie schien sowohl beeindruckt als auch entsetzt.
»Wie geht es so in New York?«, fragte ich, während sich mein Magen zusammenkrampfte. Eigentlich wollte ich fragen: »Wie geht es Luke?«, und gleich anschließend: »Wie konnte alles so schiefgehen?«
»Ganz gut.« Sie lächelte schwach. »Kalt jetzt um diese Zeit.«
Ich war entschlossen zu fragen, wie es ihm ging, aber ich zögerte und zögerte. Einerseits wollte ich es unbedingt wissen, andererseits brachte ich die Frage nicht über die Lippen.
»Was macht deine Arbeit?«, fragte ich stattdessen.
»Läuft gut«, sagte sie.
»Gut«, sagte ich von Herzen. »Phantastisch.«
»Hast du ... ehm ... eine Stelle?«, fragte sie.
»Ich?«, sagte ich. »Himmel, nein. Süchtig zu sein ist im Moment eine Vollzeitbeschäftigung!«
Unsere Blicke trafen sich, unsicher, angespannt, dann lösten sie sich voneinander.
»Wie ist das Leben in Dublin?« Damit beendete sie das Schweigen.
»Wunderbar«, antwortete ich und hoffte, dass ich nicht so abwehrend klang, wie ich mich fühlte. »Ich habe viele gute Freunde gefunden.«
»Gut.« Sie lächelte ermutigend, aber in ihren Augen standen Tränen. Und dann merkte ich, wie sich in meinem Hals ein Kloß bildete.
»Seit dem Tag damals in ... du weißt schon«, begann Brigit zögernd.
»Du meinst in Cloisters?«
»Ja. Diese alte Jungfer, Jennifer ...«
»Josephine«, verbesserte ich sie.
»Josephine, meinetwegen. Gott, sie war grässlich, ich weiß nicht, wie du sie aushalten konntest.«
»So schlecht war sie gar nicht.« Das musste ich sagen, fand ich.
»Ich fand sie entsetzlich«, beharrte Brigit. »Aber auf jeden Fall, sie hat was gesagt, so ähnlich wie, dass es schön sei, wenn immer jemand da sei, mit dem man sich vergleichen könnte, sodass man immer die Beste ist.«
Ich nickte. Ich wusste schon, was jetzt kommen würde.
»Und ... und ...« Sie brach ab, eine Träne fiel auf ihren Handrücken. Sie schluckte und blinzelte. »Und ich dachte, sie redet dummes Zeug. Ich war so böse auf dich, dass ich gar nicht wissen wollte, dass
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