Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Ungeduld kaum aus meiner Stimme heraushalten.
»Du hast deine Ohrringe vergessen.«
Brigit und ich humpelten nach Hause, ungewaschen, übernächtigt, noch in unserer Partyaufmachung. Zwar war es erst acht Uhr morgens, aber schon jetzt war es diesig und heiß. Wir blieben bei Benny’s stehen, dem jüdischen Kaffeestand, wo wir auf dem Weg zur Arbeit immer unseren Kaffee und die Bagels kauften, und mussten ein Kreuzverhör bezüglich unseres zerrupften Zustands über uns ergehen lassen.
»Na, sieh mal einer an, sieh mal an, was habt ihr zwei Mädels denn getrieben? He? He?«, fragte Benny und kam hinter seinem Stand hervor, um uns genauer in Augenschein zu nehmen. Die Fußgänger sahen zu, und der Verkehr kam praktisch zum Erliegen, während er vor den Passanten wild gestikulierte.
»Ich bitte Sie«, er schlug sich auf die Brust, »was ist denn bloß passiert?« Er fuchtelte wild mit den Armen und zeigte auf Brigit und mich, unsere ungekämmten Haare und unser verlaufenes Make-up.
»Und was sehe ich da?« Er zeigte auf seine Augen.
»Ich sehe ein Durcheinander, fürwahr.« Neues Gefuchtel mit den Armen.
»Ich dachte, ihr zwei wärt nette Mädchen«, klagte er.
»Regen Sie sich wieder ab, Benny«, sagte ich. »Das haben Sie noch nie gedacht.«
Die Liebesnacht mochte noch so heiß gewesen sein, ich hatte keinerlei Absicht, Luke wiederzusehen. Das konnte einem ja den Ruf ruinieren. Brigit und ich sezierten den Abend. Nicht auf die nette Art, wo man bei der Erinnerung an jede köstliche Einzelheit einer sexuellen Begegnung erregt zittert und manchmal die Beschreibung des Penis mit einer Zeichnung präzisiert.
Diesmal ging es eher um Schadensbegrenzung.
»Meinst du, es hat jemand gesehen, wie er mich geküsst hat?«, fragte ich Brigit.
»Natürlich hat das jemand gesehen«, sagte Brigit überrascht. »Ich zum Beispiel.«
»Nein«, sagte ich, »ich meinte, jemand, der ... na ja ... wichtig sein könnte.«
Luke rief mich an. Das war ja klar. Wenn ich wollte, dass mich einer anrief, tat er es garantiert nicht. Er musste das zusammengeknäulte Blatt aus dem Papierkorb gefischt haben, nachdem ich gegangen war.
Brigit war am Telefon.
»Wer ist da?« Ihre Stimme klang so komisch, dass ich aufsah. Sie winkte aufgeregt.
»Es ist für dich«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Sie bedeckte die Muschel mit der Hand, machte ein schmerzverzerrtes Gesicht und beugte sich mit nach innen gerichteten Knien vor, so wie Männer es tun, wenn sie einen Cricketball in die Eier kriegen.
»Wer ist dran?«, fragte ich, aber ich wusste es schon.
»Luke«, sagte sie tonlos.
Gehetzt sah ich mich nach einer Fluchtroute um.
»Sag, dass ich nicht da bin«, bettelte ich flüsternd. »Sag, dass ich wieder nach Dublin gezogen bin.«
»Das geht nicht«, flüsterte sie zurück. »Ich könnte mir das Lachen nicht verkneifen. Tut mir leid.«
»Du Biest. Das merke ich mir«, zischte ich und nahm ihr den Hörer aus der Hand.
»Hallo«, sagte ich.
»Rachel, Babe«, sagte er. Komisch, aber seine Stimme klang viel netter, als ich sie in Erinnerung hatte. Ziemlich tief mit der Andeutung eines Lachens. »Luke hier. Erinnerst du dich an mich?«
Dieses »Erinnerst du dich an mich?« versetzte mir einen Stich. Wie oft hatte ich das wohl zu Männern gesagt, von denen ich wusste, dass sie kein Interesse an mir hatten, die ich aber dennoch hartnäckig anrief?
»Ich erinnere mich an dich, Luke«, sagte ich, was mehr war, als das, was manche dieser Männer zu mir gesagt hatten.
»Wie ist es dir so ergangen?«, fragte er. »Wie war’s am Mittwoch bei der Arbeit? Ich war ziemlich fertig, muss ich sagen, den ganzen Tag.«
Ich lachte höflich und überlegte einen Moment lang, ob ich aufhängen und so tun sollte, als ob die Leitung plötzlich unterbrochen war.
Er erzählte mir, was er seither alles gemacht hatte, und ich war mir sicher, dass er die fast unbezähmbare Ungeduld hinter meiner gezwungenen Höflichkeit deutlich spürte. Ich antwortete in der gleichen Art, wie die Männer, die kein Interesse an mir gehabt hatten: vorsichtig und übertrieben höflich. Jede Menge: »Ach, wirklich?« und »Nein, tatsächlich?« Faszinierend, einmal auf der anderen Seite zu stehen.
Endlich kam er zu dem eigentlichen Grund seines Anrufs. Er würde mich gern wiedersehen. Mit mir essen gehen, wenn ich Lust hätte.
Während des ganzen Gesprächs stand Brigit wenige Schritte von mir entfernt und tat so, als würde sie Gitarre spielen: Sie hatte die Beine
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