Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
meinte, oder? Heimlich beobachtete ich Chris, der Brotteig knetete. Ich seufzte und wünschte mir, dass es meine Brüste wären, die er vor sich auf dem mit Mehl bestäubten Brett liegen hatte.
Dann sah ich, wie er mit Misty O’Malley sprach. Sie musste etwas Lustiges gesagt haben, denn er lachte. Der Klang seiner Stimme und das Blitzen seiner blauen Augen gaben mir einen Stich. Ich wollte diejenige sein, die ihn zum Lachen brachte.
Ich war eifersüchtig und fühlte mich ausgeschlossen, und gleich wurde mir wieder bewusst, wie sehr ich mich von Luke ausgeschlossen fühlte. Eine neue Welle der Verzweiflung schmetterte mich nieder.
Nach dem Kochkurs gab es das Mittagessen, dann einen Film über Betrunkene, gefolgt von erneutem Teetrinken. Ich erlebte das alles wie einen schlechten Traum.
Was mache ich hier?, schoss es mir immer wieder durch den Kopf. Und dann knöpfte ich mir meinen Kopf vor und redete ihm gut zu. Ich erklärte ihm die Sache mit den Popstars und der Entgiftung und den allgemeinen Herrlichkeiten von Cloisters. Große Erleichterung breitete sich aus, als mir das wieder klar wurde, und ich erkannte, dass ich von Glück reden konnte, hier zu sein. Doch kurz darauf wanderte mein Blick wieder verwundert zu den Männern, den gelb getünchten Wänden und dem dicken Zigarettenqualm, und ich fragte mich abermals: Was mache ich hier?
Es war, als würde ich versuchen, mich in Schuhen mit rutschigen Sohlen fortzubewegen. Die ganze Zeit dachte ich, dass ich mir, sobald ich mit einer Sache fertig war, etwas Schönes vornehmen würde. Aber dazu kam es nicht. Kaum war das eine vorbei, fing das Nächste schon an. Und ich hatte einfach nicht die Kraft, mich dagegen aufzubäumen. Es war leichter, mit der Herde zu laufen.
Irgendwas beunruhigte mich. In meinem Kopf schwirrte ein Gedanke herum, den ich nicht richtig zu fassen bekam; er flatterte immer wieder davon.
19
A m Nachmittag setzte sich ein netter Mann zu mir, den ich vorher noch nicht gesehen hatte.
»Na, wie geht’s?«, sagte er. »Neil ist der Name. Ich bin auch in Josephines Gruppe, aber gestern war ich beim Zahnarzt, deshalb haben wir uns nicht kennengelernt.«
Normalerweise würde ich jemanden, der sich mit »Neil ist der Name« vorstellte, überhaupt nicht weiter beachten, aber irgendwie mochte ich ihn auf Anhieb.
Er hatte ein freundliches Gesicht und lebhafte Augen und war ziemlich jung. Ich merkte, wie ich mich aufrichtete und mir ihm zuliebe etwas Mühe gab. Aber noch bevor ich den Ehering an seinem Finger sah, wusste ich, dass er verheiratet war. Es hatte etwas mit dem gepflegten Zustand seines Pullovers und den Bügelfalten in seiner Hose zu tun. Ich war seltsam enttäuscht.
»Wie kommst du mit dieser Bande von Spinnern hier klar?« Mit einer Kopfbewegung erfasste er den ganzen Raum voller Brauner Pullover.
Wärme durchrieselte mich. Ein normaler Mensch!
»Gar nicht so schlecht«, kicherte ich, »für eine Bande von Spinnern.«
»Und wie fandest du Josephine?
»Sie macht einem Angst«, gab ich zu.
»Ach, die ist auch eine Spinnerin«, sagte er. »Sie setzt dir Gedanken in den Kopf, und dann sagst du etwas, was gar nicht stimmt.«
»Ist das wahr?«, fragte ich. »Ich dachte doch gleich, dass sie ein bisschen komisch ist.«
»Ja, du wirst schon sehen«, sagte er geheimnisvoll. »Und weswegen bist du hier?«
»Wegen Drogen.« Ich machte ein hilfloses Gesicht, damit er merkte, dass mir eigentlich nichts fehlte.
Er lachte verständnisvoll. »Ich verstehe schon. Ich selbst bin wegen Alkohol hier. Meine arme Frau ist komplett verblendet. Sie trinkt selbst nicht und denkt, bloß weil ich samstags abends vier Halbe trinke, bin ich Alkoholiker. Ich bin hergekommen, um mal eine Weile Ruhe vor ihr zu haben. Wenigstens wird sie jetzt begreifen, dass mit mir alles bestens in Ordnung ist.«
Und gemeinsam lachten wir verschwörerisch über die törichten Gedanken der anderen.
Im Laufe des Tages bemerkte ich ein paarmal, dass Sauerkraut und Celine, die Tagesschwester, über mich sprachen. Beim Abendessen, kurz bevor die Pommes-frites-Schlacht begann, kam Celine auf mich zu und sagte: »Kann ich mal mit Ihnen reden, Rachel?«
Mein Verhängnis nahte. Während hinter mir die anderen riefen: »Oh, Rachel, jetzt bist du dran!« und: »Kann ich deine Pommes frites essen?«, folgte ich Celine mit gesenktem Kopf ins Schwesternzimmer.
Es war, als würde man in der Schule zum Direktor beordert. Doch erstaunt stellte ich fest, dass Celine gar nicht
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