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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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ihn.
    »Wie geht es dir eigentlich in Leipzig?«
    »Bestens, danke.« Jetzt bloß keinen Smalltalk! »Wie sieht es mit dem Klinikum Bremerhaven aus?«
    Philip klapperte auf der Tastatur. »Du hattest Recht. Der Junge wurde tatsächlich dort behandelt, im August 1998, und anschließend nach Göttingen überwiesen.«
    Ein Kälteschauer erfasste Pulaski. »Die zweite Abfrage!«, drängte er. »Gab es noch jemanden?«
    »Im Sommer ’98 wurde ein zweites Kind, damals acht Jahre alt, vom selben Arzt behandelt und ebenfalls in die Psychiatrie Göttingen überwiesen.«
    Volltreffer! Pulaskis Herz raste. »Wie hieß der Arzt?«
    »Kann ich dir nicht sagen, ist vertraulich.«
    Pulaski versuchte, ruhig zu bleiben. »Und der Name des Kindes?« Er griff zum Kugelschreiber.
    »Lesja …« Philip zögerte. »Prokopow…«
    »Prokopowytsch«, half Pulaski ihm. Ein ukrainischer Name.
    Vier Kinder im gleichen Alter, die man zur selben Zeit in Bremerhaven behandelt hatte. Möglicherweise war es in allen Fällen derselbe Arzt gewesen. Zwei der Kinder waren nach Markkleeberg gekommen, zwei nach Göttingen - und mittlerweile waren drei davon tot.
    »Ist das Mädchen noch dort?«
    »Kann ich hellsehen?«, murrte Philip.
    »Danke, du hast mir sehr geholfen.«
    »Alles klar, aber du weißt, dass diese Abfragen normalerweise …«
    »Danke, Philip.« Pulaski legte auf, griff nach dem Bericht in der Schublade und verließ das Büro.
     
    Er warf Fux die Mappe bezüglich der beiden Diebstähle in der Einkaufspassage des Leipziger Hauptbahnhofs auf den Tisch. »Fahndungsfotos, Zeugenaussagen, Aufnahme der Schadensfälle … der übliche Mist.«
    Fux zog nur eine Augenbraue hoch und tat so, als überhörte er Pulaskis Kommentar.
    »Kann ich mir morgen frei nehmen?«, fragte Pulaski.
    Fux sah nicht auf, während er durch die Akte blätterte. »Wozu?«
    »Ich muss ausspannen.«
    Fux lachte heiser auf. »Wer muss das nicht?« Dann blickte er zur Wanduhr. »Kommst ziemlich spät damit. Die Ferien sind vorüber, die letzten Sommertage brechen an, und jeder will frei haben.«
    Pulaski erwiderte nichts. Er hoffte, Fux würde ihn nicht nach dem Grund fragen. Er verbrachte ohnehin zu wenig Zeit mit seiner Tochter, dann sollte sie zumindest nicht für eine Notlüge herhalten müssen. In dieser Hinsicht funktionierte sein schlechtes Gewissen so präzise wie ein Schweizer Uhrwerk.
    Fux klappte den Aktendeckel zu. »Der Bericht ist in Ordnung. Von mir aus. Sprich mit Malte, er soll deinen Dienst übernehmen.« Er griff in die Schublade, holte ein Formular hervor und reichte es Pulaski. Dabei musterte er ihn, als ahnte er, was in Pulaskis Kopf vorging. Trotzdem klang die nächste Frage wie beiläufig. »Einen Tag Urlaub. Was hast du vor?«
    Pulaski unterzeichnete das Formular. »Einen Ausflug ins Grüne.«
    »Schön.« Fux senkte die Stimme. »Melde dich, falls du in Schwierigkeiten kommst.«
    Schwierigkeiten? Pulaski hielt für einen Moment inne.
    Er fuhr bloß nach Göttingen. Wie sollte er da in Schwierigkeiten geraten?
     
    30
     
    Enya war längst verklungen, und draußen herrschte die dunkle Nacht. Evelyn war in keiner romantischen Stimmung und verzichtete auf weiteren Kerzenschein. Stattdessen hatte sie das Deckenlicht im Wohnzimmer angedreht.
    Während Patrick und sie die Sektflasche zur Hälfte geleert hatten, waren sie alle möglichen Konstellationen des Falls durchgegangen. Ohne es zu bemerken, sprachen sie bereits von einem Fall, und als es ihr schließlich auffiel, steckte sie mit ihren Gedanken bereits zu tief in den absurdesten Vermutungen.
    Gegen zweiundzwanzig Uhr drückte sie die Wahlwiederholungstaste ihres Handys erneut. Wieder ertönte die sonore Männerstimme mit dem norddeutschen Akzent. »Hier spricht Edward Hockinson …«
    Der Anrufbeantworter spulte dieselbe Nachricht ab, die sie an diesem Abend bereits ein Dutzend Mal gehört hatten.
    »… ich befinde mich zurzeit auf einer Dienstreise und kehre am Mittwochabend heim. Falls Sie mir eine Nachricht hinterlassen möchten, rufe ich verlässlich und unverzüglich zurück.«
    Es war Mittwochabend, und trotzdem hob er nicht ab. Evelyn hatte keine Nachricht hinterlassen. Was hätte sie auch sagen sollen? Mein Name ist Evelyn Meyers, ich bin eine Wiener Anwältin, rufen Sie mich bitte zurück. Sie wusste ja nicht einmal, was sie sagen sollte, falls Hockinson plötzlich abheben würde. Derartige Dinge ließen sich schlecht am Telefon besprechen. Wie würde er wohl reagieren, wenn sie ihn

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