Rachewahn: Thriller
statt.“
„Dann werde ich mich mit Tommy direkt auf den Weg dorthin machen. Haben Sie schon die SpuSi informiert?“
„Nein, aber das mache ich sofort.“
„Gut. Bis später dann.“ Nora legte den Hörer auf und erhob sich missmutig. Dann schritt sie zur Tür, trat auf den Flur hinaus und sah ihren Kollegen Thomas Korn, der gerade in Richtung Toiletten ging. „Tommy?“
Der 40-Jährige Hauptkommissar drehte sich um. Er war zehn Zentimeter kleiner als Nora, wirkte aufgrund seines Körperbaus aber recht kräftig. Auf seiner Stirn befand sich eine diagonale Narbe. Die kurzen Haare hatte er vorne mit Gel in die Höhe befördert. „Ja, was gibt es?“
„Ein Brautpaar wurde ermordet.“
Thomas ließ den Kopf sinken. Genau wie Nora fühlte er umgehend eine innere Leere. Solche Nachrichten gehörten mit zu den schlimmsten, die ihr Job mit sich brachte. „Ich habe mich schon auf ein ruhiges, entspannendes Wochenende vorbereitet.“
„Das kannst du jetzt wohl vergessen.“
„Weißt du schon Genaueres?“
„Nein, die Details werden wir vor Ort herausfinden müssen. Hast du noch etwas Dringendes zu erledigen, oder können wir sofort los?“ Nora deutete auf die Toiletten.
Er seufzte. „Gib mir eine Minute. Dann kann es losgehen.“
17
Samstag, 8. Juni 2013
„Sie haben wohl ein Rad ab!“, brüllte Volker. Die Kugel war direkt neben seinem Fuß in den Boden des Busses eingeschlagen. „Wollen Sie mich töten? Nur zu! Machen Sie es! Drücken Sie ab! Los!“
„Ich will Sie nicht töten. Aber ich werde es machen, wenn es sein muss. Befolgen Sie meine Anweisungen und behalten Sie die Nerven! Haben Sie das jetzt begriffen?“ Anna funkelte ihn an.
„Ich habe nur eine Sache begriffen: Sie brauchen Hilfe! Und zwar schnell!“
„Es ist unfassbar, wie vorlaut Sie sind.“
„Es ist unfassbar, wie irre Sie sind!“
Anna setzte zu einer Erwiderung an, doch plötzlich schallte ein männlicher Ruf durch den gesamten Bus: „Ich muss aufs Klo! Sofort!“
Die Geiselnehmerin nahm den Mann in Augenschein. Es handelte sich um einen 80-Jährigen, der im hinteren Abschnitt auf der rechten Seite saß. Er trug ein rotes Hemd zu einer grauen Stoffhose. Sein Gesicht war sonnenverbrannt. Die weißen Haare standen kreuz und quer von seinem Kopf ab.
„Damit habe ich gerechnet“, erwiderte Anna. „Und Sie werden nicht der Einzige sein. Zumindest werden Sie es in den nächsten Stunden nicht bleiben. Aber es tut mir leid. Keine Chance. Entweder sind Sie in der Lage, es sich zu verkneifen, oder Sie müssen dem natürlichen Drang seinen freien Lauf lassen.“
„Ich soll mich einnässen?!“
„Wenn es sein muss.“
„Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“
„Natürlich ist es das. Dachten Sie, dass ich Sie einfach nach draußen gehen lasse? Für wie bescheuert halten Sie mich?“
„Sie sind widerlich. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, wie es sich in meinem Alter lebt? Ich habe nicht mehr alles unter Kontrolle, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Und ob ich das verstehe. Aber an ein bisschen Gestank ist noch niemand gestorben. Wenn Sie mich fragen, dann sind wir viel zu hygienisch geworden. Vor zweihundert Jahren hätte sich niemand etwas dabei gedacht.“
„Vor zweihundert Jahren gab es auch noch keine Busse, die mit Menschen gefüllt waren.“
„Guter Einwand. Ein Punkt für Sie. Dennoch werden Sie diesen Bus nicht verlassen. Tun Sie sich also keinen Zwang an.“
„Ich könnte doch kurz aussteigen und neben dem Bus an die Gebäudewand urinieren.“
„Nein, das können Sie nicht. Ich traue Ihnen nämlich nicht.“
„Denken Sie, dass ich wegrennen könnte? Soll ich Ihnen vielleicht doch mal erklären, wie es sich in meinem Alter lebt? Außerdem würden Sie doch dann wahrscheinlich den Bus in die Luft sprengen. Das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“
„Sehr löblich. Es bleibt aber bei einem klaren Nein.“
„Haben Sie dann wenigstens einen Becher für mich?“
„Na klar, ich habe extra ein paar Becher zu dieser Geiselnahme mitgebracht. Gleich gebe ich Ihnen auch noch ein Kissen und etwas zum Lesen. Schließlich sollen Sie es gut bei mir haben.“
„Ihren Sarkasmus können Sie sich sparen.“
„Das wird sich zeigen.“
„Was ist mit Ihrer Tasche?“, fragte die Frau mit den haselnussbraunen Augen. Dabei zeigte sie auf Annas Sporttasche, die noch im Bereich der Stehplätze lag. „Was haben Sie da drin?“
„Zumindest keine Becher oder sonstigen Gefäße“,
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