Rachmann, Tom
Beförderung lernte er
bei einer Party von Freunden Miriam kennen und wagte sogar, aufgekratzt vom
beruflichen Erfolg, sie um ein Rendezvous zu bitten. In den folgenden Monaten
verliebte er sich in sie. Aber er fürchtete ein bisschen, sie mit seinem besten
Freund bekannt zu machen, er hatte Angst, bei dem Vergleich konnte er nur
verblassen. Trotzdem organisierte er, als Jimmy das nächste Mal in die Stadt
kam, tapfer ein gemeinsames Abendessen. Den ganzen Tag davor war er nervös. Zu
seiner Überraschung wirkte Jimmy beim Essen überhaupt nicht geistreich: Seine
romantischen Abenteuer in Mexiko klangen kindisch, seine Schreiberei hatte
etwas Halbgares. Die meiste Zeit sang er Loblieder auf seinen Freund Herman,
rühmte seine brillanten Leistungen auf der Presbyterianerschule in Baltimore
(gelogen), seine strahlende Collegekarriere (maßlos übertrieben) und die
erfolgsverwöhnte Zukunft, die einer Mrs Herman Cohen winkte (ziemlich
unglaubwürdig). Nach dem Essen gingen sie auseinander. Herman war irgendwie
unwohl dabei, Jimmy ziehen zu lassen und mit Miriam nach Hause zu fahren - er
und sein ältester Freund hatten sich nichts von all dem erzählt, was sie
wirklich in der letzten Zeit erlebt hatten.
Miriam fand Jimmy ganz in
Ordnung, sagte sie, begriff aber nicht, warum Herman so ein Gewese um ihn
gemacht hatte. Aber eben das, Herman wusste es, hatte hinter Jimmys Auftritt
gesteckt. Als er ihn später zum Bahnhof brachte, sah er den >Ulysses< aus
Jimmys Tasche ragen und musste lächeln. »Ist das immer noch die alte Ausgabe
aus Schulzeiten?«, fragte er. Jimmy klappte das Buch auf. Die Seiten waren
ausgeschnitten, im Hohlraum steckte ein lederner Flachmann. »Das war aber nicht
immer so, oder?«, fragte Herman. Jimmy bot ihm einen Schluck an und sagte nur,
es sei so schön, ihn mit seiner Freundin zu sehen, überhaupt ihn so glücklich
zu sehen. Herman lief rot an. »Was für ein Giftzeug ist das eigentlich?«,
fragte er. Jimmy nahm einen Schluck, als wollte er noch mal prüfen, und
erklärte dann, das sei sein Lieblingsschnaps, Barbancourt-Rum.
Herman studiert >Die Bibel<
auf dem Bildschirm und zermalmt einen Bonbon mit den Zähnen. Seit Jimmy da
ist, hat er Aversionen gegen die >Die Bibel<. Ist doch bloß ein
Klagenkatalog - Gejammer in alphabetischer Ordnung. Aber er hat keine Zeit für
Grübeleien. Er hat Arbeit zu erledigen. Er geht wieder an die Berichtigung zu
Sadism Hussein. Er ruft Hardy zu sich.
»Ich dachte schon, ich könnte
entwischen«, sagt sie.
»Setzen Sie sich.«
»Den Fehler hat jemand von den
Redakteuren am Produktionstisch eingebaut.« Die typische Reporterausrede. »Und
wer da?«
»Das möchte ich nicht sagen.«
»Sie werden's müssen.«
»Sonst verpassen Sie mir eine
Runde Waterboarding?«
»Kann gut sein. War es
zufällig Ruby Zaga? Na, egal. Wer immer die Verantwortung dafür hat, wir stehen
da wie Dummschwätzer. Hören Sie zu, Ihre Reportagen haben Hand und Fuß. Sie
schreiben auch gut, und das ist das höchste Lob meinerseits. Sie sind eine der
Solidesten in der Redaktion. Hoffentlich ist Ihnen das klar geworden.« Er tippt
auf die Sadam-Hussein-Berichtigung auf dem Bildschirm. »Aber ich muss unsere
Vertrauenswürdigkeit im Auge haben.«
»Das ist mir bewusst. Es ist
nur so -«
»Moment, Moment. Wenn wir
Vertrauenswürdigkeit zum Ziel haben - und zum jetzigen Zeitpunkt ist Vertrauenswürdigkeit
so ziemlich das Einzige, was wir noch haben -, dann sollten wir uns alle
anstrengen, unseren Ruf als solide Redaktion aufrechtzuerhalten. Und deshalb
überlege ich, ob wir nicht einfach Gras über Sadam Hussein wachsen lassen
sollen.«
»Im Ernst?«, sagt Hardy.
»Danke, danke, danke. Ich will mich auch nie wieder aufs Rechtschreibprogramm
verlassen.«
»Also, Sie waren es doch
selbst.«
»Und ich werde das Lexikon
auswendig lernen.«
»Lexikon, Schlexikon.«
»>Die Bibel<«,
korrigiert sie sich. »Ich werde >Die Bibel< auswendig lernen.«
»Schon besser.« Er entlässt
sie und geht mit Jimmy Mittag essen. Die Casa Bleve liegt versteckt in einem
Palazzo aus dem 16. Jahrhundert nicht weit vom Largo Argentino. »Hier waren wir
schon einmal zusammen, weißt du noch?«, fragt er Jimmy. »Als du mit Deb in Rom
warst.«
Jimmy legt die Stirn in
Falten, aber er erinnert sich nicht. Er kann sich überhaupt nichts mehr merken,
sagt er.
»Geht mir genauso«, sagt
Herman. »Früher habe ich mich an alles erinnert, inzwischen ist mein Gedächtnis
löcherig. Ich habe mir eine neue Technik
Weitere Kostenlose Bücher