Radikal führen
so gebaut sein, dass sich Zusammenarbeit nicht lohnt. Wenn Sie gemeinsame Ziele vorschlagen, wird man Ihnen antworten: »Kann ich nicht beeinflussen!« Eine solche Antwort zeigt ein unterentwickeltes Bewusstsein für den Kooperationsvorrang. Eine scharfe Replik darauf wäre: »Ja, glücklicherweise können Sie sie nicht beeinflussen – sonst wären wir falsch aufgestellt.« Eine mildere Reaktion wäre: »Sie können sie nicht alleine beeinflussen, aber einen Einfluss haben Sie schon.« Hier deutet sich schon die Notwendigkeit an, die »Überschrift« zu ändern – dazu später mehr.
Viele Manager unterstellen, dass es für das Unternehmen das Beste wäre, wenn die Mitarbeiter ihren materiell-egoistischen Interessen folgen. Vor allem in den meisten Vertriebsorganisationen dominieren nach wie vor die Einzelkämpfer nach dem Modell »Alles kleine Unternehmer«. Und dies, obwohl Kunden verstärkt Teams zur Lösung von Prozessen und zur Erfüllung von Systemanforderungen nachfragen. Sogar in Hardselling-Organisationen wächst der Anteil von Teamzeiten an der täglichen Arbeitszeit überproportional. Und kommen die Außendienstler ohne Innendienst, ohne Produktion aus? Ähnlich schwierig ist es, im multimedial aufgestellten Marketing einzelnen Kanälen und Kampagnen den Erfolg oder Misserfolg eindeutig anzuheften. Was im Einzelnen den Kaufimpuls gab, lässt sich kaum eruieren. Entsprechend ist das oft und laut gesungene Lied vom »Return on Investment« zwar eingängig, aber doch zu wenig variationsreich, um überall gesungen zu werden. Dennoch sind Awards und Rankings sehr beliebt. Das führt zu Kollateralschäden. Rennlisten machen aus Kollegen Konkurrenten. Sie stellen die Mitarbeiter gegeneinander und stufen sie ab. Das öffentlich zu tun ist zudem obszön. Es ist nicht toll, als Verlierer oft jahrelang neben dem Gewinner zu sitzen – was Sie nur vermeiden können, wenn Sie Mitarbeiter permanent austauschen wie gebrauchte Hemden. Deshalb: Vermeiden Sie Rankings! Wer nicht darauf verzichten will, sollte nur die ersten drei Plätze öffentlich machen – und den Rest in Schweigen hüllen. Es sei denn, die Leute müssen nicht zusammenarbeiten.
Wir müssen streng unterscheiden zwischen der Entstehung einer Wirtschaftsleistung und ihrer Verteilung. Vorrang muss die Entstehung haben, also dass und wie ein Produkt entwickelt und gebaut wird. Zusammenarbeit hat dabei Priorität. Erst danach kann man an die Verteilung des Ertrags denken. Die Unternehmensführung muss verhindern, dass sich das Verteilungsdenken in den Entstehungsprozess drängt – wie es zum Beispiel mikroökonomisch bei Incentives der Fall ist, makroökonomisch beim Shareholder-Value-Ansatz. Sorgen Sie für ein Gehaltssystem, das sich zurückhält bei der Steuerung von Einzelverhalten. Das Distanz hält, nicht zudringlich ist, sich nicht subtil in die mentalen Kalkulationen der Menschen schiebt. Also ein betont unauffälliges Entgeltsystem, das nur insofern hohe Erwartungen schultert, als es möglichst wenig Schaden anrichten will. (Wer das vertiefen will, dem sei die Lektüre von Mythos Motivation empfohlen.)
Wenn Sie über eine Holding-Struktur die verschiedenen operativen Einheiten steuern, dann unterscheiden Sie die Adressen für Kapitalgeber von denen der Operation. Finanzergebnis und Geschäft sind dann getrennt. Der Betrieb als unternehmerische Einheit ist aber die eigentliche Quelle der Wertschöpfung. Erst die intelligente Kombination von Arbeit, Technologie und Kapital am Point of Sale kann einen Wert produzieren. Eine Holding niemals.
Jede Führungskraft steht vor der Frage: Wie hoch dürfen innerhalb eines Teams die Einkommensunterschiede sein? Spickt man zum Beispiel ein Team mit hoch bezahlten Supertalenten, die die anderen anspornen? Oder sollten die Gehaltsunterschiede eher gering sein? Finanzielle Gleichmacherei ist keine Antwort; um derart einfältige Reaktionen müssen wir uns nicht ernsthaft kümmern. Aber extreme Gehaltsunterschiede sind im Unternehmen schädlich – für die Zusammenarbeit.
Nun gibt es ja die Auffassung, hohe Spitzeneinkommen seien fair, weil es auf den Einfluss des Topmanagements zurückzuführen sei, dass sich das Unternehmen gut entwickelt. Das Argument ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Aber es unterstellt, dass es eine sehr enge Kausalbeziehung zwischen der Tätigkeit des Managements und dem Geschäftserfolg gibt. Sowohl Augenschein als auch Wissenschaft belegen aber nur einen schwachen
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