Radikal
dann erst würde Tante Lubna sagen: Susu, was ist los?
Tante, ich bin traurig.
Ist es ein Mann?
Ja. Zwei Männer, Tante. Einer wurde ermordet, ein guter Mann. Ich habe für ihn gearbeitet.
Allah sei ihm gnädig.
Allah sei ihm gnädig.
Und der zweite Mann?
Tante, er versucht die Mörder zu finden.
Und er macht dich traurig?
Ich glaube, ich habe ihn sehr gern. Aber ja: Er macht mich traurig.
Und wie geht es Fadi?
Ach, Tante. Ich mache mir Sorgen um Fadi.
Vierzehn Tage waren vergangen, seit Samuel ihr und Fadia seinen Entschluss mitgeteilt hatte, das Kommando Karl Martell zu unterwandern. Seitdem hatte sie nicht wieder von ihm gehört. Entgegen seiner Zusage, sich wenigstens ab und an zu melden. Sie hatte ihrerseits versucht, ihn zu erreichen, aber sein Handy war abgeschaltet. E-Mails beantwortete er nicht. Einmal war sie spät am Abend nach Friedrichshain gefahren, in der Hoffnung, ihn zu Hause anzutreffen. Aber er war nicht da. Oder jedenfalls reagierte er nicht auf die Türklingel. Und auch nicht auf das Klopfen an seiner Wohnungstür, nachdem sie sich im Windschatten eines anderen Hausbewohners mit in den Eingang gedrückt hatte. Sie hatte zunächst gezögert, den Dachboden zu betreten, es dann aber doch getan. Langsam hatte sie die grobe Spanplattentür aufgezogen, doch auch dort war kein Samuel zu sehen, nur seine Rechner standen auf ihrem Tapeziertisch.
Vierzehn Tage.
War er in Schwierigkeiten?
War er aufgeflogen und wurde nun verhört, gefoltert – oder Schlimmeres? Immerhin handelte es sich bei dem Kommando Karl Martell um die mutmaßlichen Mörder Lutfi Latifs. Wenn sie es für nötig hielten, würden sie wahrscheinlich nicht lange fackeln, auch Samuel loszuwerden. Wusste er, worauf er sich da eingelassen hatte?
Hätte sie ihn stoppen müssen?
Nein. Das wäre gar nicht möglich gewesen. Das immerhin wusste sie.
»Wie kann ich dir helfen?«, hatte Sumaya ihn gefragt, als sie sich vor ihrer Wohnung verabschiedet hatten.
»Halte mich auf dem Laufenden, was Munkelmann angeht«, hatte er geantwortet.
»Und wie?«
»E-Mail ist am besten.«
»O. k.«
»Sumaya?«
»Ja?«
»Ich freue mich darauf, wenn das hier vorüber ist.«
»Ich mich auch, Samuel. Viel Erfolg.«
Und nun hatte sie ihm schon zwei E-Mails in Sachen Munkelmann geschickt, aber keine Antwort erhalten. Vielleicht waren die Informationen auch nicht wichtig genug, als dass Samuel dafür seine Deckung riskieren würde, um ihr zu antworten. Sie konnte das nicht einschätzen. Was besagte es, dass Cord Munkelmann sich am Morgen nach dem Treffen bei Fadia doch noch bei ihr gemeldet hatte? Er habe natürlich alles mitbekommen, sagte er ihr am Telefon. Aber leider sei er krank, er könne nicht kommen, weder in den nächsten Tagen ins Büro, noch zur Trauerfeier oder zu irgendeiner Besprechung. Er sei für mindestens zwei Wochen krankgeschrieben. Das Attest würde er nachreichen.
Sumaya ließ sich nicht anmerken, dass sie von seiner Schwester wusste und davon, dass er mit Gisela eine ziemlich verdächtige Fahrt quer durch Berlin gemacht hatte.
»Das brauchst du nicht, Cord.«
»Na ja, eigentlich schon.«
»Cord, ich glaube nicht, dass irgendjemand hier in naher Zukunft unsere Unterlagen prüft. Rede besser rechtzeitig mit der Fraktion, wenn du wieder gesund bist. In einer Woche wird das Büro aufgelöst.«
»Tut mir leid, dass das alles an dir hängen bleibt.«
»Ja.«
Wilhelmine Gatz, das war der Name der Nachrückerin von der Berliner Landesliste der Grünen, an die Lutfi Latifs Mandat gehen würde. Sie war bereits Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, und ihr langjähriger und beeindruckend erfahrener Mitarbeiter hatte Sumaya zwei Tage nach dem Attentat diskret aufgesucht, um mit ihr die Modalitäten der Übergabe der Räumlichkeiten zu besprechen.
Sumaya entschied, ohne mit irgendjemand Rücksprache zu halten, nach Gutdünken. Sie hätte auch keine Zeit dazu gehabt, denn von allen Seiten prasselten Aufträge, Bitten und Anfragen auf sie herein. Die Fraktion und der Bundestag hatten jeweils eine Trauerfeier beschlossen, und Sumaya musste bei der Vorbereitung mithelfen. Sie beriet die Anrufer, welche Trauerredner dem vermuteten Wunsch des Abgeordneten am ehesten entsprochen hätte, sie fragtemöglichst sanft bei Fadia Latif nach, ob sie zu einer der beiden Feiern kommen oder lieber in Kairo bleiben wolle. Sie nahm Vorschläge für Kranzinschriften entgegen und sorgte dafür, dass auch Vertreter der islamischen Verbände
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