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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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nicht ändern. Sunderberg hatte während des Telefonats das gesamte Repertoire aufgeboten und keine Facette seiner Aufgeblasenheit verborgen. Ja, aber doch sicher nicht sofort , verehrter Kollege? Nun, wir müssen so etwas natürlich auch vorbereiten ! Ja ja, sobald es geht , Herr Dengelow, mir ist die Dringlichkeit durchaus bewusst. Natürlich sage ich Ihnen Bescheid, wenn es losgeht. Dazu eine Stimme, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, und ein leicht indignierter Tonfall, als würde man ihn beim Golfen stören. Aber wenigstens hatte der LKA – Vize die Festnahme nicht vermasselt, auch wenn er seine Leute ein bisschen später losgeschickt hatte, als es Dengelow lieb war und er es angemessen fand.
    Aber jetzt gehörte Samuel Sonntag ja ihm, vertrieb Dengelow seinen Groll. Ihm ganz alleine. Jedenfalls wenn man von der Beamtin absah, die zum Zwecke der Protokollierung ebenfalls anwesend war. Sie war jung, rothaarig und sah, dank ihrer kurzen Haare, wie Dengelow vermutete, sehr herb und fast männlich aus. Er nickte ihr zu, als er den Vernehmungsraum in der JVA Moabit betrat.
    Zwei Tische standen in dem Raum, der mit amtlich grauer Latexfarbe angemalt war und nach kaltem Zigarettenrauch roch. Der Raum war hoch. Auf der schmalen Seite gab es, in etwa drei Metern Höhe, ein einzelnes Fenster, durch das ein wenig Tageslicht fiel, was aber wegen der angeschalteten Neonröhre nicht auffiel. Das Fenster war vergittert. Die beiden Tische bildeten ein T, drei braune Amtsstubenstühle standen bereit. Die Kollegin, deren Namensschild und Uniform sie als Kriminalkommissarin Seyfert auswiesen, hatte sich an der Mitte des quer gestellten Tisches platziert, was Dengelow entgegenkam. So würde er Sonntag gegenübersitzen, Auge in Auge.
    Samuel Sonntag war von drahtiger Gestalt und hatte ein breites Kreuz, eine Figur wie ein Schwimmer oder ein Ruderer, dachte Dengelow. Er trug offensichtlich noch die Kleidungsstücke, in denen er am Morgen im Friedrichshain festgenommen worden war, Jeans und T-Shirt, beides blau, ausgewaschen und, soweit Dengelow sehen konnte, sauber und ohne Aufdrucke, Markenembleme oder andere besondere Kennzeichen. Auch Sonntags Augen waren blau, aber es war kein strahlendes Blau, eher ein Standardblau, blau weil es eben nicht grau oder grün war, sondern irgendwo dazwischen. Sonntag sah müde aus. Aber so sehen sie alle aus, schoss es Dengelow durch den Kopf. Seine Haare trug er eher kurz und strubbelig, eine Frisur im eigentlichen Sinne gab es nicht, aber auch kein Gel oder Wachs, wenn Dengelow sich nicht täuschte. Sein Gesicht warkantig und symmetrisch, es sah beinahe wagemutig aus. Er trug einen Dreitagebart, was Dengelow kurz irritierte, aber dann auch wieder nicht. Es gibt eben kein Muster, rief er sich in Erinnerung. Augenbrauen und Wimpern fielen ihm auf. Sie waren eine Nuance dunkler als Sonntags Haare und ebenso dicht, was irgendwie plakativ wirkte.
    Als Sonntag seine Hände auf den Tisch legte, erkannte Dengelow am rechten Unterarm die Folgen einer schweren Verletzung. Er machte sich eine Notiz im Kopf. Das war unter Umständen interessant.
    Dengelow hatte in seinem Leben eine beachtliche Menge Verdächtiger, Beschuldigter und nicht unschuldiger Zeugen vernommen. Wie jeder Polizist hatte er seine eigene Routine entwickelt, seinen eigenen Stil, seine persönliche Sammlung von Weisheiten zusammengestellt, deren Quersumme man beim dritten Bier Philosophie nennen könnte, wenn man je darüber spräche, was Dengelow nicht tat. Die Wahrheit war trotzdem, dass einem niemand das Verhören beibringen konnte. Man tat es, man lernte dabei, man war jedes Mal nervös und hangelte sich an seinem Gerüst entlang, so gut es ging.
    Dengelow ließ sein Gegenüber gerne etwas warten. Er nahm sich Zeit, um den Betreffenden zu mustern, um ihn durch seine Sprachlosigkeit zu verunsichern, aber auch um sich seine Körperhaltung einzuprägen, denn das konnte helfen, zu einem späteren Zeitpunkt Anzeichen für Nervosität oder Angst zu erkennen, weil sich die Körpersprache dann vielleicht veränderte.
    Samuel Sonntags Körperhaltung war gerade, aber zugleich erkennbar angespannt. Sein Blick wanderte indes nicht umher, wie Dengelow es oft erlebt hatte, sondern war fest und direkt in sein, Dengelows, Gesicht gerichtet. Samuel Sonntag wartete darauf, dass er endlich mit der Vernehmung begann.
    Wie sollte er anfangen?
    Auch darüber hatte er sich Gedanken gemacht, auf dem Weg in die JVA , zuletzt sogar noch, als er die

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