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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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führte das? Das konnte doch unmöglich wirklich geschehen! Sie musste an Samson denken, und daran, wie er in ihrem Urlaub in Irland tatsächlich einmal durch einen dichten Nebel hindurch mit ihr gesprochen hatte. Sie hatte ihn nicht sehen können, obwohl er nur wenige Meter entfernt von ihr gewesen war.
    »Frau Schwalb?«
    Sie wusste nicht, wo sie beginnen sollte. Sie wusste nicht einmal, welche der zur Rede stehenden Behauptungen die absurdeste war. Das alles war so unglaublich.
    »Ich war am Tag des Anschlags vor Ort, wie Sie ja wissen. Samuel Sonntag war auch dort. Nach dem Anschlag sind wir aus der Siegfried-Passage zusammen zu seinem Dachboden gefahren, wo er sofort nach Spuren der Attentäter im Netz gesucht hat. Ich kann Ihnen versichern , dass er genauso schockiert war wie ich.«
    »Ich schätze, jeder Überlebende eines Anschlags wäre geschockt,oder?«, mischte Erlinger sich ein. »Vor allem, wenn er vielleicht damit gerechnet hat, dass er stirbt? Verstehen Sie mich nicht falsch, seine Schuld ist ja nicht bewiesen, ich spiele das nur mal durch.«
    » Verdammt , Erlinger, er hat das Bekennervideo gefunden, vor allen anderen!«
    »Ich glaube, wir sollten versuchen, nicht emotional zu werden. Aber ja, daran musste ich auch schon denken. Merkwürdig, finden Sie nicht? Im Spiegel der Vorwürfe, meine ich.«
    Merle Schwalb reagierte nicht auf Erlinger und wandte sich stattdessen ihrer Chefin zu. »Er war es nicht. Ich kenne ihn.«
    »Frau Schwalb, wussten Sie denn, dass er Mohammed Atta kannte?«
    Merle Schwalb schüttelte langsam den Kopf.
    »Und dass er Muslim ist?«
    »Er ist kein Muslim.«
    »Wie können Sie da sicher sein?«
    »Weil er an gar nichts glaubt«, antwortete sie etwas zu schnell, was sie daran merkte, dass sie sich zugleich fragte, wieso sie und Samson eigentlich nie darüber gesprochen hatten, was sie glaubten. Ob sie glaubten. Ob sie glaubten, ein Leben in der Gegenwart eines Gottes zu leben oder nicht. War das denn etwa keine fundamentale Frage? Und wieso glaubte sie eigentlich, dass Samson an nichts glaubte?
    »Das würde er natürlich behaupten, ist doch klar«, warf Erlinger unterdessen ein. »Und ich betone noch einmal, ich spreche hier nur als Advocatus Diaboli! «
    Merle merkte, wie sie wütend wurde. Redeten sie hier allen Ernstes darüber, ob Samson ein Terrorist war und vierzehn Menschenleben auf dem Gewissen hatte? »Erlinger, er war es nicht.«
    »Aber wieso denn nicht? Glauben Sie, das BKA hat ihn aus Spaß festgenommen? Ich finde, die Indizien sind erdrückend.«
    Merle Schwalb atmete tief ein. »Samuel Sonntag war Sicherheitsberater von Lutfi Latif«, sagte sie.
    Erlingers Augen verengten sich zu Schlitzen. »Seit wann wissen Sie das?«, verlangte er zu wissen.
    »Das tut nichts zur Sache. Aber es stimmt.«
    Sekundenlang konnte sie zusehen, wie Erlinger die ihm neue Information verarbeitete, analysierte und hin und her wälzte. Schließlich lehnte er sich wieder zurück und pfiff leise durch die Zähne.
    »Das«, sagte er langsam, »ist gerissen, wirklich gerissen. Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wie er eigentlich rechtzeitig wissen konnte, dass Latif im Morgenmagazin sein würde. Aber das erklärt es. Und es zeigt, wie raffiniert er wirklich war.« Er warf einen mitleidigen Blick auf Merle Schwalb. »Sieht aus, Kollegin, als habe er im Laufe der letzten Jahre eine Menge Leute erfolgreich hinters Licht geführt.«
    Merle sah Erlinger fassungslos an. Wie konnte es sein, dass er alles, was Samson entlastete, zu etwas umdrehte, das ihn belastete? War er einfach nur bösartig? Oder glaubte er tatsächlich an Samsons Schuld? Nein, das konnte sie nicht glauben. Da musste noch etwas anderes sein. Plötzlich verstand sie, was es war: Es war Angst. Angst, sich zu irren. Nein, genauer noch: Angst, sich alleine zu irren. Erlinger würde immer den Behörden hinterherschreiben, denn das bedeutete für ihn das geringste Risiko. Wenn die falschlagen, irrte er sich zwar mit ihnen. Aber sie würden sich dafür rechtfertigen müssen, nicht er. Er hatte ja nur den Stand der Behörden berichtet!
    Merle wollte Erlinger gerade erwidern, aber sie kam nicht dazu, denn das dritte Geschlecht hatte offenbar genug gehört und räusperte sich vernehmlich.
    »Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir damit umgehen«, sagte sie. »Darum geht es jetzt. Herr Erlinger, wie groß ist unser Vorsprung?«
    »Das BKA wird morgen Vormittag bekanntgeben, dass es eine Festnahme im Zusammenhang mit dem

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