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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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schob seinen Wagen mit den handwarmen Griffen durch den Super-Supermarkt, starrte in die Gesichter übergewichtiger Mitberliner, die alle, aber auch restlos alle, das Gleiche für den denselben Abend planten wie er, und fühlte sich wie ein Nichts.
    Was bin ich? Ich bin austauschbar. Ich bin nicht exotisch. Ich habe nie einen Baum gefällt. Ich war nicht einmal in der verfickten Toskana. Was bin ich sonst noch? Ich bin Leos Vater. Und ich bin Polizist. Ein hochrangiger Polizist, ein Elite-Ermittler. Das bin ich.
    An der Kasse vor ihm stand ein tätowiertes Pärchen, das einen Großeinkauf getätigt hatte. Er sah ein halbes Dutzend eingeschweißte Fleischpakete in ihrem Wagen, dazu Baguettes, Bier, Wein, Chipstüten, eingeschweißte Aufschnittpakete, Colaflaschen. Der blanke Hohn, dachte Dengelow. Agnes und ich, wir unterscheiden uns nicht einmal von diesem tätowierten Pärchen.
    Gibt es denn nichts anderes? Nichts Exotisches? Nichts Neues in meinem Leben?
    Unwillkürlich, ohne es recht zu bemerken, griff er nach dem Blackberry in seiner Hosentasche. Ob es blinkte? Ob es wenigstens eine neue Nachricht für ihn gab? Ja, tatsächlich. Gott sei Dank! Hastig drückte er auf das Icon, das auf eine neu eingetroffene SMS hinwies. Ansgar Dengelow merkte, wie sein Puls sich beschleunigte. Sie war von Munir. »Bald geht es los, rechnen Sie mit einer deutschsprachigen AQ – Botschaft innerhalb der kommenden 48 Stunden. Online. Ich weiß noch nicht wo. Neue Adresse vermutlich. Angeblich geht es um eine große Neuigkeit.«
    Ich bin ein Polizist, dachte Dengelow, ein hochrangiger Polizist. Und bald wird etwas passieren, und ihr verdammten Arschgeigen, ihr habt alle keine Ahnung.
    ***
    Endlich war die schwüle Hitze gewichen und hatte nach dem kurzen Gewitter einer beginnenden lauen Sommernacht Raum gemacht. Erst jetzt, als es fast so weit war, wurde Sumaya klar, dass sie sich schon den ganzen Tag über auf diesen Moment gefreut hatte. Sie musste lächeln. Sie freute sich immer, wenn ihr etwas klar wurde, ohne dass sie darüber nachdenken musste, sondern einfach so, weil sie es fühlte oder spürte. An ein Holzgeländer gelehnt blickte sie auf das glitzernde Wasser der Spree. Gleich würde es halb zehn sein, und Samson würde sie an ihrem Rücken erkennen müssen, zwischen all diesen Silhouetten junger Menschen im blassblauen Halbdunkel, noch ein Gedanke, der Sumaya zum Lächeln brachte. Sein Problem, dachte sie amüsiert, schließlich hat er das Badeschiff als Treffpunkt vorgeschlagen.
    Die Lounge-Beats wummerten angenehm leise über das Gelände des Clubs am Flussufer, dessen Attraktion darin bestand, dass er einen Sandstrand, jede Menge Liegestühle und einen neonblau ausgeleuchteten Pool mitten in der Spree zu bieten hatte, den nicht wenige Besucher auch nutzten und der sich, dem Augenschein nach, hervorragend zum Herumknutschen eignete.
    An der Bar hatte sie sich zuvor eine Orangina bestellt, umgebenvon lauter Studenten und Studentinnen, die ausnahmslos Tannenzäpfle-Bier beziehungsweise Aperol Spritz orderten. Jetzt blickte sie auf die Friedrichshainer Flussseite herüber, ihre Sandalen in den Händen, die nackten Füße im warmen Sand. Wenn es eine Sache gab, von der sie ohne jeden Zweifel wusste, dass sie ihr hier besser gefiel als im Nahen Osten, dann waren es die langen, hellen Sommernächte und die sich über Stunden hinziehende Dämmerung. Sie war noch nie zuvor im Badeschiff gewesen, aber es gefiel ihr. Die Stimmung war leicht, fröhlich und zugleich lässig. Es war nicht laut. Vielleicht schluckt der Fluss ja die Geräusche, dachte sie. Sie fühlte sich wohl.
    Warum fühlte sie sich wohl? Und warum freute sie sich auf das Treffen? Schließlich war es doch im Grunde eine dienstliche Besprechung, auf die sie wartete, wenn auch zu einem ungewöhnlich späten Zeitpunkt und an einem etwas abwegigen Ort. Aber den Ort hatte ja er bestimmt. Und eine andere Uhrzeit war nicht infrage gekommen, weil Cord Munkelmann, der irgendwie von dem Auftrag an Samson Wind bekommen hatte, unbedingt hatte dabei sein wollen. Sumaya hatte lange überlegt, wie sie das verhindern konnte. Cord, das Treffen findet nicht im Büro statt. Und es lohnt auch gar nicht, dass wir zu zweit auftauchen, er übergibt mir ja nur schnell einen Bericht! Aber dann war ihr etwas Besseres eingefallen. Denn sie wusste, dass Munkelmann Mitglied der Fußballmannschaft der Grünen-Fraktion war, worauf er sehr stolz war und was er sehr ernst nahm. Und die Grüne Tulpe

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