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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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gilt, der sterben sollte.«
    Sterben . Sie stellte sich vor, wie Samson solche Dinge mit seinen unfreiwilligen Informanten in irgendwelchen dunklen Chatrooms besprach, die kein normaler Mensch jemals finden würde. Sterben. Er sollte sterben! Findest du, dass er sterben sollte? Er hat den Tod verdient! Wie sollte er sterben? Sie hätte nicht einmal gewusst, wie man eine solche Konversation führte. Sie sah Samson an, wie er vorsichtig lächelte, auf ihren nächsten Satz wartend. Sie mochte ihn, das war ihr mittlerweile völlig klar, und sie nahm es als eine Tatsache hin, die sie – einstweilen – gar nicht hinterfragen wollte. Aber was bedeutete es, jemanden zu mögen, der nachts in solche Rollen schlüpfte? Sie hätte ihn das alles gerne gefragt. Aber nicht jetzt, befahl sie sich selbst. Später. Wenn das hier vorbei ist. Und bis dahin ist noch etwas Arbeit zu erledigen.
    »Was ist mit den anderen Briefeschreibern?«
    »Um die Nazis habe ich mich nicht gekümmert. Da müsst ihr jemand anders fragen, es gibt viele Leute, die sich da gut auskennen. Aber ich nicht.«
    »O.   k., habe ich mir schon gedacht. Aber die Islamhasser, was ist mit denen?«
    »Das ist noch wirrer.«
    »Was meinst du?«
    »Also, ich hab auch hier nur einen Namen. Aber ich bin bei meinen Recherchen über etwas ziemlich Interessantes gestolpert, und ich weiß selbst noch nicht genau, was ich davon halten soll.«
    »Erzähl!«
    Samson berichtete, dass er auf den einschlägigen und auch auf einigen weniger gut einsehbaren Internetplattformen von Islamhassern Hinweise gefunden hatte, dass der Abgeordnete in diesen Kreisen ebenfalls extrem verhasst war. Dann verfinsterte sich sein Gesicht. Er machte eine Pause, offenbar suchte er nach den richtigen Worten.
    Schließlich fuhr er fort: »Es sieht so aus, als sei die Islamhasserszene gerade dabei, sich zu radikalisieren. Zumindest an den Rändern. Das Zentrum der Radikalen scheint in Berlin zu liegen. Es gibt eine Art Vorfeldorganisation, die aus einem losen Zusammenschluss gleichgesinnter Menschen besteht, die sich unter halbkonspirativen Bedingungen regelmäßig treffen. Bei diesen Salons wird zwar nurgeredet, aber die Idee liegt nahe, dass die ganze Geheimniskrämerei in Wahrheit dazu dient, die Mitglieder an die eigentliche Idee heranzuführen. Und die heißt: Muslime provozieren. Mit Aktionen, aber künftig vielleicht auch mit Gewalt.«
    Sumaya merkte, wie es in ihrem Nacken zu kribbeln begann. Sie dachte an Fadi. An seine wundgeschrubbten Hände und den abgrundtief erschütterten Blick in seinen Augen.
    »So etwas wie diese Aufkleber an den Moscheen vor ein paar Tagen?«
    »Genau. Es gab schon ähnliche Sachen vor ein paar Monaten, das wurde aber geheim gehalten. Schweineblut an Moscheetüren, so etwas. Die geheime Kaderorganisation, die das Ganze anscheinend steuert, nennt sich Kommando Karl Martell .«
    »Jetzt werden die also auch zu Terroristen«, sagte Sumaya.
    »So weit sind wir noch nicht. Was ich gerade erzählt habe, sind zur Hälfte Hinweise und zur anderen Hälfte Vermutungen.«
    »Für mich klingt das ziemlich schlüssig.«
    »Ja, klar. Aber im Ernst: Noch haben sie keinen umgebracht oder so. Vielleicht beruhigen die sich auch wieder.«
    »Beruhigen? Ich denke, du hast gesagt, dass sie gerade erst angefangen haben?«
    »Ich meine damit bloß, dass noch keiner von denen was getan hat, was man ernsthaft als Terrorismus bezeichnen kann.«
    »Ja, aber sie sind radikal. Deine Worte.«
    »Das ist ja auch etwas anderes.«
    »Aber suchen die Behörden denn nicht bei jedem Muslim, der sich ohne Genehmigung einen Bart wachsen lässt, genau nach solchen Anzeichen? Anzeichen für eine sogenannte Radikalisierung? Von der man dann annimmt, dass sie ihn auf wundersamen Wegen nach Waziristan bringen wird?«
    »Wenn er Bekannte hat, die schon in Waziristan sind, ist das vielleicht auch kein völlig abwegiger Verdacht, oder?«
    »Und was, wenn das Schlachtfeld gar nicht in Waziristan ist, sondern in Berlin? Und alle schon längst da sind? Und sie genauso radikal sind wie der Muslim, der erst noch nach Waziristan reisen muss?«
    »Sumaya, das kann man nicht vergleichen.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil die bisher nur reden. Zum Beispiel.«
    »Ach ja? Und das Schweineblut? Und die Aufkleber?«
    »Die Leute in den Salons, das sind keine potenziellen Selbstmordattentäter. Die haben Jobs und Familien. Klar, die haben jede Menge Ressentiments. Vielleicht auch Hass. Die fühlen sich vielleicht als

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