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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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an, krempelt einen Hemdsärmel hoch und schiebt Fausto beiseite.
    »Madonna …«, flüstert Vito.
    Sergio ballt die Hand zur Faust und versetzt Vito einen gezielten Schlag seitlich an den Kopf, der erst zurückschnellt, ehe er zur Seite pendelt.
    »Vito!«, ruft Elisa.
    »Was soll das? Spinnst du?«, blaffe ich Sergio an.
    Hastig eilen wir dem Alten zu Hilfe, stützen seinen Kopf und tätscheln ihm die Wangen, um ihn aus der Ohnmacht zu holen. Eine Gesichtshälfte verfärbt sich bereits bläulich, und an seinen Lippen klebt Blut. Langsam öffnet Vito die Augen und starrt uns perplex ein paar Sekunden lang an, ehe er wieder ganz bei Bewusstsein ist.
    »Jetzt siehst du gut aus …«, feixt Sergio.
    Vito antwortet ihm mit einem schiefen Grinsen. Wir helfen ihm auf die Beine, und als wir sicher sind, dass er nicht mehr umkippt, bringen wir ihn in den Keller. Sergio weist die anderen an, sich in der Toilette einzuschließen, und wir führen den Alten zu seinem Bett, wo er sich sofort hinlegt. Er zwinkert uns zu und beginnt theatralisch zu ächzen. Rasch entriegeln wir die Tür zum Bad, verlassen den Raum und werden durch den Spion Zeugen der folgenden Szene:
    »Vito, was haben die mit dir gemacht?«, fragt Saverio.
    »Der Typ ist ein Killer«, antwortet Vito stöhnend.
    »Wer? Der Breitarsch?«, fragt Franco.
    Sergio zuckt zusammen und jagt Fausto, der nicht mehr an sich halten kann und höhnisch grinst, in die Küche.
    »Ja, der ist wahnsinnig … der bringt uns noch alle um«, erwidert Vito.

71
    Unsere neuen Gäste – zehn Personen im Alter von sieben bis achtzig Jahren – sind extrem schwierig. Heute bin ich als Küchenhilfe für Elisa eingeteilt. Einzeln taugen wir zu nichts, aber als Gruppe sind wir unschlagbar.
    Fausto ist der ideale Gesprächspartner für Smalltalk über Sport. Von Fußball bis Curling – er ist der Experte oder kann zumindest mitreißend über Taktiken und Regeln plaudern. Er verfügt über ein enzyklopädisches Wissen und hat ein Gedächtnis wie ein Elefant, was Daten, Aufstellungen und Rekorde angeht.
    Sergio ist ein Vorbild für alle Linksintellektuellen. Als politischer Ziehsohn führender Mitglieder außerparlamentarischer linker Gruppierungen wie Potere Operaio und Lotta Continua kennt er alle Reden Berlinguers auswendig und bringt sogar eine passable Imitation des Duce zustande. Zudem ist er im Besitz einiger unbequemer Wahrheiten über die Auftraggeber des Bombenattentats auf den Schnellzug Florenz–Bologna und des Anschlags auf der Piazza Fontana in Mailand. Und was den Flugzeugabsturz von Ustica betrifft, da hat er so seine eigenen Vorstellungen. Seiner Meinung nach waren darin sowohl die CIA , der Mossad als auch der Vatikan verwickelt.
    Claudio wiederum kann es besonders gut mit den Senioren. Sobald sie anfangen, über Krankheiten und gewaltsame Tode zu reden, zögert er nicht, seinen enormen Erfahrungsschatz an Krankenhausgeschichten mit ihnen zu teilen – mit besonderer Betonung der Missstände im nationalen Gesundheitswesen.
    Elisa ist universell einsetzbar und kommt bei allen gleich gut an. Als Meisterin der Improvisation kann sie vor allem Kinder stundenlang beschäftigen. Malen, Gärtnern und Basteln von Salzteigfiguren – das alles lässt sie sich spontan und je nach Bedürfnislage einfallen.
    Ich hingegen wüsste nicht genau zu sagen, was ich bin. Ich lächle und halte meinen Mund, sodass die Leute mich für einen sehr intelligenten Zeitgenossen halten. Für einen Künstler gewissermaßen.
    Mit der Zeit lassen sich auch immer mehr Single-Frauen bei uns blicken, woraufhin Fausto sein Bauchmuskeltraining wieder aufgenommen hat. Früher habe ich seinen Erzählungen nicht viel Gewicht beigemessen, aber jetzt muss ich meine Meinung revidieren: Fausto ist ein Eroberer. Auch wenn er dies vor allem der Hartnäckigkeit zu verdanken hat, mit der er jeden einzelnen weiblichen Gast umgarnt – das Ergebnis verdient meine vollste Anerkennung. Seine Anmachsprüche sind dermaßen banal, dass es schon wieder entwaffnend wirkt. »Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«, fragt er, ohne sich im Geringsten zu genieren. Das käme mir nie über die Lippen. Diesen Satz, der gewissermaßen zum Symbol männlicher Plumpheit geworden ist, nimmt doch keine Frau mehr ernst. Aber Fausto ist das egal, und offensichtlich funktioniert die Masche. Manchmal kommt er auch dem einen oder anderen Gast bekannt vor. »Sind Sie nicht derjenige, welcher …« Inzwischen haben wir gelernt, diesen Satz zu

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