Radio Miracoli und andere italienische Wunder
dass bei mir alles in Ordnung ist. Woraufhin Sergio Fausto zu verstehen gibt, dass er ihm einen Stuhl holen soll. Unter den ungläubigen Blicken der Jung-Camorristi nimmt er seelenruhig vor Franco und mir Platz. Und so verharren wir eine Weile, bis Francos Würgegriff schwächer wird. Langsam sehe ich wieder klarer und gleite nicht weiter ins Nirwana.
»Du hast gewusst, dass ich ihm nichts tun werde, stimmt’s?«, knurrt Franco, während er mir einen Stoß versetzt und mich zu meinen Freunden schiebt.
Sergio erhebt sich von seinem Stuhl, baut sich mit gezücktem Beil vor Franco auf und fordert die Herausgabe der Glasscherbe. Franco weicht keinen Zentimeter zurück und schaut ihn weiter verächtlich an. Im Rückwärtsgang verlassen wir den Kellerraum und verriegeln die Tür. Nach der letzten Schlüsselumdrehung hagelt anerkennendes Schulterklopfen auf Sergio nieder.
»Du warst phänomenal«, meint Fausto.
»Super«, sagt Claudio.
Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, meinen Hals zu massieren und das Gefühl der Enttäuschung zu verarbeiten, dass ich überlebt habe.
Es gleicht einem Triumphzug, als wir unsere Schritte in Richtung Treppe lenken – aufrecht und mit stolzem Blick. Wir sind Helden.
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»Ich schwöre, dass ich die Tür abgeschlossen habe.«
Diesen Satz habe ich mindestens sechsmal wiederholen müssen, aber am Ende haben sie mir geglaubt. Dann sind wir wieder in den Keller hinunter, bis an die Zähne bewaffnet. Claudio hat unbedingt Francos Pistole haben wollen, die er – als echter Profi – mit einem Handschuh angefasst hat. Mit einem rosa Küchenhandschuh, um genau zu sein. Wir haben die drei Männer an ihre Betten gefesselt und bei näherer Betrachtung festgestellt, dass das Schloss der Toilettentür manipuliert worden war.
»Na, also!«, habe ich gesagt.
»Bravo«, hat Sergio die Gefangenen angeblafft.
Saverio und Renato haben mit einer kaum merklichen Kopfbewegung auf Franco gedeutet.
Elisa hat von dem Vorfall im Keller nichts wissen wollen, aber ihrer Miene ist zu entnehmen, dass sie begreift oder zumindest ahnt, dass mein Leben in Gefahr war. Immer wieder wirft sie mir mütterlich besorgte Blicke zu, die zu ignorieren ich jedoch vorziehe, da ich voll damit beschäftigt bin, die Pose des Kriegers aufrechtzuerhalten, der nach der Schlacht heroisch den weiten Horizont fixiert.
Zwischen zwei Seitenblicken macht sich Elisa derweil daran, Vito zu schminken. Dieser Mann strotzt vor Gesundheit, sodass wir beschlossen haben, ihn mit dicken Augenringen und blasser Haut zu verunstalten. Diese Vorsichtsmaßnahme ist unerlässlich, denn nach dem Fluchtversuch der drei Camorristi kann er nicht mehr oben im Haus schlafen. Wir müssen ihn wieder in den Keller bringen, damit keine Zweifel aufkommen, dass auch er ein Gefangener und nicht zum Vergnügen hier ist. Das tut uns zwar von Herzen leid, aber der Alte begreift sofort, wie wichtig es ist, dass wir einen V-Mann dort unten haben, der uns hilft, jeden weiteren Ärger mit Franco zu vermeiden.
Elisas Schminkkünste können Vito jedoch nicht überzeugen, und er bittet uns, dass wir Männer sein Gesicht bearbeiten.
»Er hat recht«, meint Sergio. »Sie müssen glauben, dass auch er zu fliehen versucht hat.«
Auf der Suche nach einem Freiwilligen sehen wir einander an.
»Ruhig Blut, das kann mir das Leben retten«, sagt Vito.
Claudio nimmt seinen ganzen Mut zusammen, stellt sich vor Vito hin und gibt ihm eine Ohrfeige. Der Alte zuckt kaum merklich zusammen.
»Äh, Moment. Das war nur ein erster Versuch«, verteidigt sich Claudio, als er unsere kritischen Blicke sieht.
Er versetzt Vito einen zweiten Schlag, dieses Mal ein wenig fester, dann drei weitere in schneller Folge und mit wachsender Wucht. Ein kleiner roter Fleck erscheint auf dem Wangenknochen des Alten.
»Wenn wir so weitermachen, dauert das bis heute Abend …«, sagt Vito stöhnend.
»Hör auf. Überlass das mir«, sagt Fausto, schiebt Claudio zur Seite und bittet um Abstand.
Vito schließt die Augen und bereitet sich auf den Schlag vor. Fausto holt weit aus, zögert jedoch im letzten Moment. Wenig wirkungsvoll trifft er zwar mit der flachen Hand die Wange des Alten, erzeugt damit aber lediglich ein trockenes Klatschen.
»Fertig?«, fragt Vito hoffnungsvoll.
»Ach was …«, sage ich.
In seiner Ehre gekränkt, lässt Fausto sofort eine zweite Ohrfeige folgen. Wieder ist sie sehr laut, aber wenig effektiv.
»Los, Jungs! Wir machen es doch nur für ihn!«, spornt Sergio uns
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