Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Fausto.
»Das ist nicht immer so. Du wirst schon sehen, wie schön es hier ist, wenn sich der Nebel verzieht.«
Aber er ist überwältigt. »Das ist ja wunderbar, so etwas habe ich noch nie gesehen …«, stammelt er.
Mit einem Blick auf sein fassungsloses Gesicht begreife ich, dass er mich ausnahmsweise nicht auf den Arm nimmt. Wir steigen aus dem Wagen und genießen, an die Motorhaube gelehnt und dessen wohlige Wärme am Hinterteil verspürend, den spektakulären Anblick.
»Wenn diese Wichser mal die Nase aus ihren Dörfern stecken würden und so ein Schauspiel mit eigenen Augen sehen könnten – dann addio Camorra, addio Mafia«, sagt Fausto.
Ich glaube, das ist die erste sinnvolle Bemerkung, die ich ihn habe sagen hören, seit ich ihn kenne. Am liebsten wäre ich ihm ermutigend um den Hals gefallen, aber ich bezweifle, dass er meine Absicht verstanden hätte, und so beschränke ich mich auf einen kräftigen Schlag auf seine Schulter. Wir genießen das Spektakel noch ein paar Minuten, und als sich der Nebel langsam auflöst, konzentrieren wir uns wieder auf unsere Aufgabe. Wir haben nicht viel Zeit, um alle SMS zu lesen und einen glaubwürdigen Satz daraus zu basteln.
Eingehüllt in einen Kokon aus vollkommener Stille, schalten wir das Handy von Saverio ein. Schlagartig ertönt ein wirres Gebimmel, das auf die gespeicherten SMS -Nachrichten aufmerksam macht und in dieser Landschaft absolut surreal wirkt. Wir klicken auf die gesendeten SMS und entdecken inmitten Dutzender unverständlicher Ausdrücke ein paar Brocken, die für unseren Zweck geeignet sind. Die Kurznachricht liest sich wie folgt: »Das Fest stinkt mich an. Ziehe los, um Weiber zu finden.« Indem wir »Fest« durch »Leben« ersetzen und anstelle von »Weiber« »mich selbst« schreiben, haben wir den Satz, den wir brauchen. Wir schicken die neue SMS an einen gewissen Rino, an den die meisten Nachrichten gerichtet sind. Dann schalten wir das eine Handy aus und nehmen uns das andere vor. Auch hier ertönt ein Konzert aus entgangenen SMS -Nachrichten und Telefonaten. Den Text zusammenzustellen ist ein Kinderspiel. Renato hat mindestens dreißig herzzerreißende SMS an eine gewisse Valentina geschrieben, die es – soweit wir sehen – jedoch nicht für nötig erachtet hat zu antworten. Renato hat gedroht, sich umzubringen, dann sie zu töten, dann wieder einen gewissen Daniel, und zu guter Letzt – halleluja! – für immer fortzugehen. Wir nehmen diese SMS , formulieren sie ein wenig um, wobei wir darauf achten, jeden Satz mit mindestens fünf Ausrufezeichen zu versehen, um den Stil des Burschen nachzuahmen.
Wir hatten vereinbart, nach getaner Mission sofort zurückzufahren, aber als wir das zweite Handy ausschalten, sehen wir, dass der Nebel fast vollständig verschwunden ist. Nur hier und da treibt noch ein Dunstfetzen am Himmel, was dem Hochtal mit seinem Mosaik aus bestellten Feldern einen noch größeren Liebreiz verleiht. Eine Straße verläuft exakt in der Mitte der Ebene, kerzengerade wie die Straßen in amerikanischen Filmen. Und wir haben eine kleine Belohnung verdient.
Wir wechseln uns am Steuer ab. Ich war auf der Hinfahrt an der Reihe, jetzt ist Fausto dran. Ich hätte nicht gedacht, dass er so gut schweigen kann. Er kam mir eher vor wie einer, der es sich zur Aufgabe macht, jede stille Sekunde mit irgendwelchem Blödsinn zu füllen. Stattdessen bin ich es, der das Schweigen bricht, als wir mit hoher Geschwindigkeit über die menschenleere Talebene brettern.
»Schön, nicht?«
»Absolut geil.«
Fausto kurbelt alle Fenster herunter, und wir lassen uns die frische Luft um die Nase wehen.
»Das ist das wahre Leben!«, brüllt er.
Ja, denke ich, so soll es sein.
32
Mithilfe von Abu, Samuel und Alex schreitet die Renovierung zügig voran. Beschämt schauen wir ihnen bei der Arbeit zu, und uns wird bald klar, dass wir es ohne sie niemals schaffen würden, nicht einmal in sechs Monaten. Im Lauf einer Woche lerne jedoch auch ich, Mauern abzuschleifen und Fliesen zu verlegen. Das verdanke ich einzig und allein Alex, der jeden nur erdenklichen Job gemacht hat, seit er in Italien lebt, und der sich als geduldiger Lehrmeister entpuppt. Samuel hingegen ist ein komischer Kauz, der alles liest, was ihm unterkommt: Werbeplakate, Zeitungsfetzen, die Etiketten auf den Plastikflaschen im Bad. Abu hat mir erzählt, dass er seit seiner Ankunft in Italien schwer traumatisiert ist. Die Landung muss dramatisch gewesen sein, da man ihn quasi auf
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