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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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gefragt, ob er irgendeinen Ort in Umbrien oder in der Toskana kennt, und war sehr überrascht, als er den Kopf geschüttelt und mir geantwortet hat, dass er noch nie in diesen Regionen war. In Italien kennt er bisher nur Rimini, Riccione und Forte dei Marmi. Er ist lieber ins Ausland gefahren, als er endlich etwas mehr Geld zur Verfügung hatte. Nach Ibiza und Sharm El Sheikh, um genau zu sein.
    Als wir auf der Autobahn sind, ist unser Gespräch bereits seit einer geraumen Weile versiegt, und Fausto schickt sich an, ein Nickerchen zu machen. Wie immer konzentriere ich mich auf das Band aus schwarzem Asphalt und auf den hypnotischen Mittelstreifen. Doch irgendetwas hat sich verändert. Ich empfinde nicht mehr das übliche Bedürfnis, abzuhauen und alles hinter mir zu lassen. Stattdessen kann ich in aller Ruhe die Fahrt genießen und konzentriere mich auf die vereinzelten Häuser, die rasch an mir vorüberziehen. Dennoch bleibt mir noch Zeit, darüber nachzudenken, wer wohl darin wohnt und was sich in diesem Moment in jenen erleuchteten Zimmern abspielt.
    Ich schalte das Radio ein, leise, um den Schlaf meines Reisegefährten nicht zu stören. Der Empfang ist nicht gut, und so springe ich zwischen den Sendern hin und her, bis ich schließlich durch Zufall bei einem religiösen Radiosender hängen bleibe. Schuld ist eine Frauenstimme, die ich als äußerst einschmeichelnd empfinde, auch wenn die Anstrengung herauszuhören ist, so inspiriert wie ein Hirtenmädchen vor einer Erscheinung der Madonna zu klingen. Ich sehe die Frau vor mir: engelsgleich, mit blonden Haaren, grünen Augen, schneeweißem Teint. Die junge Frau redet von den Wächtern des Morgens, den Rettungsschwimmern des Glaubens. Ich drehe das Radio ein wenig lauter, da ich beim besten Wille nicht kapiere, wovon die Frau spricht. Umgarnt von ihrer einschmeichelnden Stimme, lasse ich mir ergeben die unglaubliche Nachricht unterjubeln, dass viele Diözesen in diesem Land eine Art mobilen Einsatzdienst ins Leben gerufen haben, um das Wort Christi unter den Badegästen zu verbreiten. Nur die Hochachtung vor der scharfen Braut, die meiner Einbildung nach vor dem Mikrofon sitzt, hindert mich daran, mit einem saftigen Fluch den Sender zu wechseln. »Hunderte, in kleinen Gruppen organisierte junge Menschen sind am Strand ausgeschwärmt, um unter den Jugendlichen das Wort des Evangeliums zu verbreiten«, sagt die Frau in dem Moment. Ich sehe die Szene vor mir: Erst kommt der Verkäufer mit den Kokosnüssen, dann der Pakistani mit den Halsketten und den Ohrringen, dann der Chinese, der Massagen anbietet, schließlich der Afrikaner mit den CD s und zu guter Letzt der Rettungsschwimmer mit dem Wort Christi.
    »Was hörst du dir da für einen Scheiß an?«, fragt Fausto, den ein spitzer Jubellaut der Frau aus dem Schlaf gerissen hat.
    »Keine Ahnung, ich habe Musik gehört, und plötzlich hat sich der Sender von selbst eingestellt …«
    Fausto wirft mir einen besorgten Blick zu und schläft wieder ein. Ich drehe den Ton abermals ein wenig lauter, aber auf der Frequenz des religiösen Senders sind jetzt nur noch Wettervorhersagen und irgendwelche Gesänge zu hören.
    Nach der Beerdigung meines Vaters hat der Priester mich gefragt, ob ich Messen für den Verstorbenen vorbestellen will. Fürbitten, hat er angesichts meines ratlosen Schweigens hinzugefügt. Ich habe mich fürchterlich aufgeregt. Innerlich, wie immer. Eine Messe kann man doch nicht gleichsetzen mit einem Tisch im Restaurant oder einem Liegestuhl am Strand. Ich habe es einfach nicht verstanden. Muss denn ein Mensch, wenn er allein stirbt und niemanden hat, der ihm eine Messe vorbestellen könnte, dann länger im Fegefeuer büßen? Ich bin stinksauer auf die Kirche, weil sie mich mit Mätzchen wie diesen um den Trost bringt, an Gott zu glauben und zu hoffen, dass ich eines Tages meinen Vater wiedersehen werde.
    Kurz nach neun Uhr erreichen wir die Stelle, wo es hinuntergeht in die Ebene von Castelluccio. Wenn wir schon so weit fahren müssen, dann wenigstens an einen Ort, den ich liebe und an dem ich seit langer Zeit nicht mehr war, habe ich für mich beschlossen. Bevor die Straße ins Tal hinabführt, hat man einen herrlichen Blick über die weite Hochebene. Sobald ich eine Haltemöglichkeit sehe, bleibe ich stehen und wecke Fausto. Unter uns hängt dichter Nebel, aus dem, kaum wahrnehmbar, in der Ferne der kleine, gleichnamige Ort auf dem Bergrücken herauslugt.
    »Wohin hast du mich denn verschleppt?«, fragt

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