Radio Miracoli und andere italienische Wunder
sofort nach oben.
Dieses Mal setzt sich Vito sofort seine Sonnenbrille auf und steuert den Küchentisch an. Dort macht er sich über die Rigatoni mit Tomatensoße her, die er sich hineinschaufelt, während er unruhig auf dem Stuhl hin und her rutscht, um sein Gesicht in die Sonne zu halten, die durch das Fenster hereinfällt.
»Was habt ihr eigentlich mit dem Auto gemacht?«, will er beiläufig von mir wissen.
Die Frage klingt zwar reichlich unschuldig, aber ich werfe Sergio trotzdem einen raschen Blick zu, bevor ich antworte.
»Das haben wir versteckt«, erwidere ich.
»Passt mir ja gut darauf auf. Es ist ein teures Andenken.«
»Hast du dir das von deiner ersten Erpressung gekauft?«
»Man sieht sofort, dass der Wagen sehr gepflegt ist«, werfe ich ein.
»Genau. Und wenn es euch nicht zu viel Mühe macht – unter dem Fahrersitz liegt eine Plane …«
»Die haben wir schon gefunden. Kannst beruhigt sein«, erklärt Sergio.
»Es wäre wirklich schade, wenn dem Wagen was passieren würde. Ich habe nach und nach alles richten lassen. Die Reifen, die Kupplung … und die Batterie ist nagelneu«, sagt Vito.
»Die Batterie ist neu?«, frage ich.
»Jawohl, mit dem Radio habe ich ein kleines Problem, das hat blöderweise einen Wackelkontakt, deshalb habe ich die Batterie austauschen müssen. Wollt ihr den Wagen vielleicht kaufen? Ich mache euch einen guten Preis.«
»Ich denke, er ist ein teures Andenken?«, sage ich.
»Ja, er hat meinem Vater gehört … aber an den kann ich mich auch ohne den Wagen erinnern. Wenn nicht, wäre ich doch ein schlechter Sohn!«
Das klingt zunächst nach Schmierentheater, aber Vitos Tonfall, der keinen Widerspruch zulässt, vertreibt jeden Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Bemerkung. Vielleicht ist es doch möglich, seine Welt zu begreifen.
»Hörst du eigentlich gern klassische Musik?«, fragt Sergio.
»Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater war Musiklehrer.«
»Und du?«
»Ich habe schon früh die Familie durchgebracht. Mein Vater ist jung gestorben und hat uns nichts als Schulden hinterlassen.«
»Deswegen bist du also zur Camorra?«
»Vorsicht. Manche Worte nimmt man besser nicht in den Mund. Ihr kennt die Camorra doch nur aus dem Fernsehen. Hier lebst du damit von deinem ersten Atemzug an, und oft ist sie die Einzige, die dir helfen kann.«
Wir nicken. Ich weiß nicht, warum Sergio nickt, aber ich tue es, weil ich diesen Satz bestimmt schon Hunderte von Malen in ebenso vielen Sendungen im Fernsehen gehört habe. Aber jetzt glaube ich zum ersten Mal, wirklich zu begreifen, was er bedeutet.
»Ich weiß zwar nicht, was ihr vorhabt, aber es kann nicht funktionieren. Das geht fürchterlich in die Hose«, fügt Vito warnend hinzu.
33
Ich lege mich auf den Bauch und versuche, mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Sekunden später wälze ich mich auf die Seite und klemme mir das Kissen zwischen die Beine, ehe ich schließlich nach meinem Handy greife, um nachzuschauen, wie spät es ist. Das grelle Display blendet mich, und es dauert ein paar Sekunden, bis ich begreife, dass es zwei Uhr nachts ist. Ich knipse das Licht an und strecke die Hand nach einem Buch aus. Nichts wirkt einschläfernder auf mich als Lesen. Normalerweise sinke ich bereits nach einer oder auch nur einer halben Seite in den Tiefschlaf. Das passende Buch kann bei mir wahre Wunder bewirken. Stattdessen werde ich immer unruhiger. Ich lese einen Satz, und während meine Augen schon beim nächsten sind, merke ich, dass ich mit den Gedanken ganz woanders bin, und fange wieder von vorn an. Ich konzentriere mich erneut, aber in der Mitte des Satzes hat mein Gehirn bereits das Zimmer verlassen. Also klappe ich das Buch zu und stehe auf.
Schon an der Treppe sehe ich, dass im Wohnraum Licht brennt. Vor dem Fernsehapparat, dessen Ton ausgeschaltet ist, sitzt Claudio. Sein Kopf ist nach hinten gesunken, sein Mund steht offen. Er schnarcht mal lauter, mal leiser, während auf dem Bildschirm eine kleine Japanerin in kniender Stellung munter in die Kamera blinzelt, als gehörte ihr der Körper nicht, den ein von oben bis unten tätowierter Typ gerade hingebungsvoll bearbeitet. Aus Schamgefühl versuche ich, den Fernseher auszuschalten, drehe dabei aber aus Versehen den Ton für den Bruchteil einer Sekunde laut auf. Claudio schreckt hoch.
»Was machst du da?«, murmelt er.
»Und du? Hältst du das etwa für den richtigen Zeitpunkt für deine Therapie?«
»Ich kann nicht einschlafen ohne Fernsehen«, jammert
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