Radioactive -Die Verstossenen
versteift sich sein Körper und seine Lippen pressen hart aufeinander, sodass sie nur noch ein schmaler Strich sind. Ich weiß direkt, dass es ein Fehler war. Vorsichtshalber weiche ich zurück, da ich damit rechne, dass er jeden Moment wieder ausrasten wird, doch er strafft nur die Schultern und ruft: „Paul, übernimm du hier.“
Paul kommt herbei geschlurft, während Finn aus meinem Blickfeld tritt.
Wenn ich erst einmal zurück in der Sicherheitszone bin, werde ich D523 nach Finn fragen. Ich bin sicher , sie wird nicht so ein Geheimnis daraus machen. Sie war immer ehrlich zu mir, auch wenn vielleicht nicht alles, was sie sagt , der Wahrheit entspricht. Aber zumindest hält sie es für die Wahrheit.
Als ich mit meinen Stiefeln versuche an der sandigen Wand empor zu klettern, gibt es ein lautes Knirschen. Viel zu laut. Wenn ich damit weitermache, wird Paul garantiert misstrauisch werden. Schnell husche ich zu der Wand und blicke hinaus. Noch scheint er nicht misstrauisch geworden zu sein, aber sicher dauert es nicht mehr lange und er wird sich für das Geräusch interessieren.
Ohne zu zögern knie ich mich zu Boden und löse die Schnürsenkel meiner Schuhe.
Der Sand fühlt sich ungewohnt unter meinen blanken Fußsohlen an. Er setzt sich zwischen meine Zehen und ist , obwohl es Nacht ist, angenehm warm und weich. Nie habe ich meine Füße mehr gespürt als in diesem Moment. Als ich nun einen Fuß auf den Fels setze, ist nichts zu hören. Mit meiner Hand kralle ich mich in die unebenen Felsvorsprünge und ziehe mich immer weiter an der rauen Wand empor. Es ist schwierig , Halt zu finden, doch es gelingt mir und ich finde sogar Gefallen daran. In der Sicherheitszone gibt es keinen Ort , an dem man klettern müsste, alles ist flach oder glatt geschliffen. Niemand bereitet einen dort auf einen Ausbruch vor. Früher hätte ich mich allerdings auch gefragt , warum ich irgendwann einmal irgendwo ausbrechen sollte. Die Sicherheitszone war der einzige existierende Ort für mich auf der Welt.
Das Loch in der Decke ist bereits so nah, dass ich eine Hand hindurch stecken kann und mich mit dem Fuß abstützen und die andere hinterher ziehen kann. Kühler Wind umweht meine Nasenspitze und streift über meinen kahlen Kopf. Es riecht hier sogar anders. Ich kann den Geruch unmöglich beschreiben, er ist so facettenreich und fremd, dass ich keine Worte dafür habe.
Ich versuche , irgendetwas in der Finsternis zu erkennen, doch außer weiterer roter Hügel kann ich nichts sehen. Trotzdem schiebe ich meinen Körper durch das schmale Loch. An meinen Hüften bleibe ich für einen Moment stecken, doch ein kleiner Ruck hilft bereits und ich bin frei. Barfuß stelle ich mich neben das Loch und überblicke meine Umgebung. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit, doch was ich sehe, ist unglaublich. Ich hatte mit einer Ebene gerechnet, eine kleine Höhle im Nichts. Doch es ist vollkommen anders. Rund um die Höhle, auf der ich stehe, die zudem alles andere als klein ist, ragen meterhohe Bäume in den Himmel. Es muss eine Art Wald sein. Nichts ist hier tot, so wie die Legionsführer es uns immer in ihren Aufnahmen gezeigt haben. Es gibt hier mehr Leben , als in der Sicherheitszone je möglich gewesen wäre.
Für einen kurzen Moment gerate ich ins Wanken und frage mich , wie viel die Legion uns noch verschwiegen haben mag. Vielleicht sollte ich hier bleiben, vielleicht haben die Verstoßenen recht. Aber der Weg in die Freiheit ist greifbar, so nah, dass ich nicht mehr zurück in die winzige Zelle klettern will. Ich werfe meine Zweifel beiseite und tapse vorsichtig, einen Schritt vor den anderen setzend, über die hügelige Höhle. Sie ist viel größer , als ich dachte , und muss noch so viel mehr beinhalten als nur die Halle mit den kleinen Zellen. Ich bemühe mich langsam zu gehen, um niemanden auf mich aufmerksam zu machen. Der Wind zerrt und drückt an mir, schubst mich von der einen zur anderen Seite. Deshalb bin ich froh , als ich merke , wie die Höhle sich senkt. Erneut lasse ich mich auf die Knie sinken und taste vorsichtig den Boden ab, lasse mich kletternd an ihrem Rand hinab. Plötzlich höre ich von weiter weg aufgeregtes Stimmengewehr. Das Licht von Fackeln erhellt die Dunkelheit in der Ferne. Haben sie etwa so schnell mein Verschwinden bemerkt? Wie weit bin ich wohl noch vom Boden entfernt? Anhand der Bäume sehe ich, dass es nicht mehr weit sein kann und lasse mich zu Boden fallen. Es müssen mehrere Meter
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