Radioactive -Die Verstossenen
„Du bist ein Lügner!“
Er prustet entrüstet Luft aus und sinkt auf seinem Stuhl zurück. Dann schüttelt er enttäuscht den Kopf. „Ich kann schon verstehen, dass du mir nicht glaubst. Du hast nie etwas anderes kennengelernt als die Sicherheitszone, wahrscheinlich würde es mir da nicht anders gehen. Aber denk mal über meine Worte nach. Ich bin sicher , auch du hast schon einmal Zweifel an der Legion gehabt. Nicht alle ihrer Entscheidungen sind richtig.“
Er steht auf und führt mich aus der Zelle, zurück zu F701. Doch als er die Tür öffnet, sehe ich, dass sie verschwunden ist.
„Wo ist sie?“, stoße ich sofort alarmiert aus.
„Sie wird genauso befragt wie du, mehr nicht.“
„Kommt sie danach wieder?“
„Wer weiß… Vielleicht ist sie etwas vertrauensvoller als du.“
„Was soll das heißen?“
„Ihr habt die Wahl. Ein Leben als Mensch - oder weiter Roboter und Arbeitstier für die Legion spielen…“
Schon wieder eine Lüge. Sie lassen uns nicht einfach gehen, wenn ich mich gegen sie entscheide. Ich bin ihre Gefangene. Und das so lange , bis ich ihnen zustimme oder sterbe. Eine andere Wahl habe ich nicht.
Paul bemerkt mein Zögern und deutet es falsch. „Hast du Angst , alleine zu sein?“
„Nein.“ Meine Lippen pressen sich tapfer auf einander. Jetzt , wo er es ausspricht, merke ich erst, dass er vielleicht Recht haben könnte. Als die Tür in das Schloss einrastet, zucke ich für einen Moment zusammen und lege mir schützend meine eigenen Arme um den Körper. Es ist warm in der Zelle, so warm wie an keinem einzigen Ort in der Sicherheitszone, egal ob Tag oder nicht, und trotzdem friere ich. Vielleicht sind das die ersten Auswirkungen von der Radioaktivität, wenn es sie dann überhaupt noch gibt. Ich weiß nicht mehr , was ich glauben soll. Wer lügt und wer sagt die Wahrheit? Seit meinem Kleinkindalter bin ich daran gewöhnt, dass die Legionsführer mir sagen , was richtig und was falsch ist. Es ist unnötig , sich selbst Gedanken zu machen, es ist sogar kontraproduktiv. Zu viele unterschiedliche Meinungen können zu Konflikten führen und Konflikte führen zu Krieg. Was soll ich nur machen, wenn plötzlich alles, wogegen ich mich immer gewehrt habe, der einzige Weg ist, um hier zu überleben? Denn eines weiß ich gewiss, ich bin noch nicht bereit zu sterben.
Kraftlos lasse ich mich gegen den rauen Stein sinken und merke , wie schwer nicht nur meine Beine, sondern auch meine Augen und mein ganzer Körper sind . Ich fühle mich so schrecklich müde, dass das Denken eine Qual ist. Vielleicht sollte ich mich für einen Moment ausruhen, nur eine kurze Verschnaufpause. Wie von selbst fallen meine Augen zu und reißen mich in einen unruhigen Schlaf.
Leblose, aschfahle Körper stapeln sich übereinander. Jegliches Leben ist aus ihnen gewichen und hat grotesk entstellte Hüllen zurückgelassen. Nackt und kalt liegen sie auf dem roten Sandboden. Ihre lichtblauen Augen sind vor Entsetzen geweitet und spiegeln ihre Angst vor dem Tod wider . Auf jeder Stirn prangt ein Loch , aus dem die letzten dunkelroten Blutstropfen sickern. Sie wurden erschossen. Alle miteinander und keiner blieb verschont.
Ich will schreien, doch mein Mund bleibt stumm. Ich kann ihn nicht einmal fühlen. Bin ich auch tot? Ich hebe den Blick und sehe die weißen Anzüge der Legionsführer. Sie sind mit Schusswaffen ausgerüstet und zielen auf mich. Ein Schuss zielt nur knapp an meinem Kopf vorbei, der andere trifft den Boden neben meinen Füßen und wirbelt roten Staub auf. Ich kann mich nicht bewegen. Sie werden mich töten. So wie alle anderen. Ein weiterer Schuss fällt und trifft mich in den Bauch. Der Schmerz umhüllt mich, sticht in jeden Teil meines Körpers. Die Legionsführer treten näher, sodass ich ihnen in die Augen Blicken kann. Es ist eine Lüge. Ihre Augen sind nicht wie meine, sondern voller Licht und Schatten. Es liegt so viel Wut in ihnen. Der Legionsführer schaut mir direkt ins Gesicht , als er die Waffe gegen meine Stirn drückt. Es ist Finn.
Ich schreie , als ich erwache , und wälze mich unruhig umher. Was ist passiert? Hat er mich erschossen? Panisch betaste ich meinen Bauch, doch das Blut und die Wunde sind verschwunden. Nur der rote Sand ist geblieben und lässt mich husten.
Die Tür wird schwungvoll aufgerissen und ich jage in die hinterste Ecke der Zelle. Da ist er wieder, nur das Gewehr hat er vergessen.
„Warum schreist du? Hast du ein Problem?“, knurrt er mir schroff
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