Radioactive -Die Verstossenen
auf einen Stock stützen muss, weil er kaum noch gerade stehen kann. Er muss uralt sein. Älter als jeder Mensch, den ich zuvor je kennengelernt habe. Langes silbernes Haar rahmt sein von Falten übersätes Gesicht ein. Aber auch er hat ein freundliches Lächeln. Als er erneut spricht, erkenne ich ihn als den vorherigen Sprecher. „Willkommen bei den Rebellen. Ich hoffe , dein neuer Name gefällt dir.“
Ehe ich irgendetwas erwidern kann, lässt Finn seiner Wut bereits freien Lauf. „Das ist nicht euer Ernst!“, schleudert er den anderen erbost entgegen. „Sie ist eine von denen. Sie wollte fliehen!“
„Mehr hätte sie ihre Menschlichkeit kaum unter Beweis stellen können.“, entgegnet der alte Mann, ohne auf Finns Wut einzugehen. „Schau sie dir doch nur mal an. Sie ist barfuß durch den Wald gerannt. Ihr Körper ist übersät von Schrammen. Sie muss jeden Muskel einzeln spüren. So verhält sich niemand ohne Gefühl.“, beteuert der Alte, doch erreichen seine Worte Finn nicht im Geringsten.
Sein ganzer Körper bebt vor Wut und seine Hände sind fest zu Fäusten geballt. „Wer hat dir das Recht gegeben , für alle zu entscheiden? Machst du dich jetzt zum Anführer oder was soll das?“
„Junge, niemand will dir was Böses. Vertrau dem Wort eines Mannes mit Lebenserfahrung, mehr nicht.“, versucht er ihn zu beschwichtigen, aber Finn will kein Wort mehr hören. Mit wütendem Schritt stampft er in Richtung der Höhlen, macht vor deren Eingang dann jedoch auf dem Absatz kehrt und fährt zu uns herum. Anklagend deutet er mit dem Finger auf mich. „Ich lass dich nicht aus den Augen, verstanden!“, schleudert er mir erbost entgegen, sodass es wie eine Drohung klingt. Ich nicke nur stumm, denn ich verstehe gar nicht , was hier vor sich geht. Finn scheint das als Antwort zu reichen und er stürmt aufgebracht in das Innere der Höhle.
Nun zieht F701 mich an der Hand, um sich meiner Aufmerksamkeit gewiss zu sein. „Cleo, warum bist du denn weggelaufen?“
„Warum nennt ihr mich Cleo? Ich habe bereits eine Bezeichnung!“, rufe ich verwirrt aus. Das wird mir alles zu viel.
„ Papperlapapp, Menschen haben keine Bezeichnungen, sondern Namen. Du bist doch kein Roboter, oder?“, meint der alte Mann und tritt gemeinsam mit der blonden Frau auf mich zu. Hinter ihnen folgen Jep und Pep.
„Ich heiße jetzt Iris, das bedeutet Regenbogen. Hast du schon mal einen gesehen?“, fragt mich F701.
Ich schüttele den Kopf. „Was ist das?“
„Ich werde es dir zeigen. Du glaubst gar nicht , was es hier alles zu sehen gibt“, verspricht mir Iris und strahlt dabei über ihr ganzes Gesicht.
„Wenn wir gerade dabei sind uns vorzustellen, ich bin Gustav.“, sagt der alte Mann und hält mir wie damals Paul die Hand entgegen. Dieses Mal ergreife ich sie direkt, wenn auch etwas zaghaft und zögerlich. Erstaunt hebt Gustav die Augenbraue, aber schüttelt meine Hand kräftig. „Wer hat dir das denn beigebracht? Doch nicht etwa Finn?“
„Nein, Paul.“
Die blonde Frau beginnt zu kichern. „Dacht ich’s mir doch. Alles andere hätte mich auch gewundert. Ich bin Florance, freut mich , dich kennenzulernen.“
Ihr Händedruck ist nicht so fest wie der von Gustav, sondern eher zärtlich und sanft wie eine Feder. Es passt zu ihrer ganzen Erscheinung. Florance ist gut einen Kopf kleiner als ich und das , obwohl sie ein paar Jahre älter sein muss. Sie ist zierlich und erinnert mich an das Bild einer Puppe, dazu passen auch ihre langen blonden Locken. Nur ihre Wangen glühen rosig, passend zu dem Veilchenblau ihrer großen , mandelförmigen Augen. Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe , und ich mag sie auf Anhieb.
„So , und jetzt holen wir dich erstmal aus den nassen Kleidern raus und kümmern uns um deine Wunden. Dass du überhaupt noch laufen kannst, grenzt an ein Wunder.“, sagt Florance und legt mir eine Hand auf die Schulter, wofür sie sich strecken muss, trotzdem fühle ich mich sofort geborgen und willkommen. Gemeinsam mit Iris folge ich ihr in das Innere der Höhle.
Die Höhle besteht aus vielen kleinen Gängen und Einmündungen, manche sind durch Vorhänge in Form von Bettlaken oder anderem Stoff verhängt, andere offen und für jeden zugänglich. Überall sind Menschen, unterschiedlicher wie sie kaum sein könnten. Es scheint mir fast , als würde hier nicht einer dem anderen gleichen. Sie tragen Kleidung in bunten Farben und Mustern. Selbst ihre Haare erstrahlen in den unterschiedlichsten
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