Rächende Geister
Ich selber liebe Isis. Und Henet ist ganz für unsern Ortsgott Amun. Und dann ist da Re, der Sonnengott, und Osiris, vor dem die Herzen der Toten gewogen werden.«
Atemlos hielt Renisenb inne. Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch etwas anderes erregt.
»Schau dort!«, rief sie. »Nofret spricht mit Sobek. Sie lacht. Oh!« Sie ließ einen erstickten Aufschrei hören. »Nein, es ist nichts. Ich dachte, er würde sie schlagen. Sie geht ins Haus zurück, und er kommt hier herauf.«
Sobek sah wie eine Gewitterwolke aus.
»Möge ein Krokodil dieses Weib verschlingen!«, wütete er. »Mein Vater war noch törichter als sonst, als er sie hierher brachte!«
»Was hat sie zu dir gesagt?«, erkundigte Hori sich neugierig.
»Sie hat mich wie gewöhnlich beleidigt! Sie fragte mich, ob mein Vater mir noch mehr Holzverkäufe anvertraut hätte. Ihre Zunge ist gespalten wie die einer Schlange. Ich würde sie am liebsten umbringen.«
Er ging über die Plattform, ergriff einen großen Stein und warf ihn ins Tal hinunter. Als der Stein über die Felsen kollerte, schien er sich an dem Geräusch zu erfreuen. Er packte einen noch größeren Stein, doch sprang er im gleichen Augenblick jählings zurück, weil eine Schlange, die darunter gelegen hatte, den Kopf hob. Zischend reckte sie sich, und Renisenb erkannte, dass es eine Brillenschlange war.
Sobek hob einen schweren Stock auf und griff sie wütend an. Ein wohlgezielter Hieb zertrümmerte ihr den Kopf, aber Sobek fuhr fort, auf sie einzuschlagen, wobei er atemlos etwas vor sich hin murmelte. Renisenb war nicht sicher, ob sie richtig hörte, aber sie glaubte »Nofret« zu verstehen…
»Hör auf, Sobek!«, rief Renisenb. »Hör auf – sie ist ja tot!«
Sobek hielt inne, dann warf er den Stock weg und lachte.
»Eine Giftschlange weniger auf der Welt!«
Seine gute Laune schien wiederhergestellt, und er lachte immer noch, als er den Pfad hinunterschritt.
Renisenb lachte leise: »Ich glaube, Sobek tötet gern.«
»Ja.« Es lag keine Verwunderung in dem Wort. Hori bestätigte nur eine Tatsache, die ihm offenbar schon bekannt war.
Renisenb blickte ihn an und sagte: »Schlangen sind gefährlich… aber wie schön diese Brillenschlange war…«
Hori bemerkte träumerisch: »Ich weiß noch, als wir alle Kinder waren, griff Sobek einmal Yahmose an. Yahmose war ein Jahr älter, aber Sobek war größer und stärker. Er hatte einen Stein, mit dem er auf Yahmoses Kopf losschlug. Deine Mutter kam herbeigerannt und trennte die beiden. Ich weiß noch, wie sie rief: ›Das darfst du nicht tun, Sobek, es ist gefährlich!‹« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Sie war sehr schön… fand ich als Kind. Du gleichst ihr, Renisenb.«
»Wirklich?« Renisenb freute sich. Dann fragte sie: »War Yahmose schwer verletzt?«
»Nein, es war weniger schlimm, als es aussah. Dagegen war Sobek am nächsten Tag sehr krank. Vielleicht hatte er etwas gegessen, das ihm nicht bekommen war; doch deine Mutter sagte, sein Wutausbruch sei daran schuld und die Hitze.«
»Sobek ist jähzornig«, sagte Renisenb. Sie betrachtete die tote Schlange und schauderte.
Als Renisenb zum Haus zurückkehrte, saß Kameni mit einer Papyrusrolle auf dem Vorplatz und sang. Sie blieb stehen und lauschte seinen Worten.
»Ich will nach Memphis gehen«, sang Kameni, »ich will zu Ptah gehen, dem Herrn der Wahrheit. Ich will zu Ptah sagen: Gib mir mein Weib heute Abend. Ihre Schönheit dämmert herauf. Sie ist schön wie eine Lotosblume…«
Er sah auf und lächelte Renisenb an.
»Gefällt dir mein Lied, Renisenb?«
»Was für ein Lied ist das?«
»Ein Liebeslied aus Memphis.« Er wandte die Augen nicht von ihr ab, indes er weitersang: »Ihre Arme sind voller Blumen, ihr Haar ist gesalbt. Sie ist wie eine Prinzessin…«
Renisenb errötete. Schnell ging sie ins Haus, und sie stieß beinahe mit Nofret zusammen.
»Warum so in Eile, Renisenb?«
Nofrets Stimme klang scharf. Renisenb musterte sie leicht erstaunt. Nofret lächelte nicht. Ihr Gesicht war grimmig und gespannt, und Renisenb bemerkte, dass sie die Hände zu Fäusten ballte.
»Verzeih mir, Nofret, ich sah dich nicht. Es ist dunkel hier, wenn man aus der Helligkeit von draußen kommt.«
»Ja, es ist hier dunkel… Draußen ist es angenehmer, da kann man Kameni zuhören. Er singt schön, nicht wahr?«
»O ja.«
»Und doch bleibst du nicht, um ihm zu lauschen? Kameni wird enttäuscht sein.«
Wieder färbten sich Renisenbs Wangen rot. Nofrets kalter,
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