Rächende Geister
wahr, ich habe heute sehr viel zu tun. Ich führe die Aufsicht, solange mein Vater im Tempel ist.«
»Junge Schakale bellen laut«, bemerkte Esa.
Aber Ipy blieb unerschütterlich.
»Hast du mir nicht mehr zu sagen, Großmutter?«, gab er gelassen zurück.
»O doch. Erstens einmal ist dies ein Trauerhaus. Dein Bruder Sobek ist schon in den Händen der Einbalsamierer. Aber dein Gesicht ist fröhlich, als hätten wir heute einen Festtag.«
Ipy lächelte.
»Du heuchelst nie, Esa. Möchtest du, dass ich ein Heuchler werde? Du weißt recht wohl, dass zwischen mir und Sobek keine Liebe war. Er beauftragte mich stets mit den demütigendsten Arbeiten auf dem Felde. Häufig verspottete er mich und lachte mich aus. Und als mein Vater mich zusammen mit meinen älteren Brüdern zum Teilhaber machen wollte, überredete Sobek ihn, davon abzustehen.«
»Wie kommst du darauf, dass Sobek ihn dazu überredet hat?«, fragte Esa scharf.
»Kameni sagte es mir.«
»Kameni?« Esa zog die Brauen in die Höhe. »Das finde ich merkwürdig.«
»Kameni sagte, er habe es von Henet gehört – und wir alle sind uns darin einig, dass Henet immer alles weiß.«
»Trotzdem hat Henet sich diesmal geirrt«, entgegnete Esa trocken. »Zweifellos waren deine beiden Brüder der Meinung, dass du noch zu jung für eine solche Verantwortung bist, ich aber war diejenige, die deinem Vater geraten hat, dich auszuschließen.«
»Du, Großmutter?« Mit unverhohlenem Erstaunen blickte er sie an. Dann spiegelte sein Gesicht Zorn, die Blume fiel von seinen Lippen. »Warum hast du das getan? Es ging dich doch gar nichts an.«
»Alles, was meine Familie betrifft, geht mich an.«
»Und mein Vater hat auf dich gehört?«
»Nicht sofort«, antwortete Esa trocken. »Aber ich will dir eine Lehre erteilen, mein schönes Kind. Frauen wirken im Geheimen und machen sich die Schwächen der Männer zunutze. Vielleicht erinnerst du dich, dass ich Henet eines Abends mit dem Spielbrett auf den Vorplatz schickte.«
»Ja, ich weiß. Mein Vater und ich spielten zusammen. Was soll das?«
»Ihr spieltet drei Runden. Und jedes Mal hast du, da du besser spielst, deinen Vater geschlagen.«
»Ja.«
»Das ist alles«, sagte Esa und schloss die Augen. »Dein Vater schätzt es nicht, geschlagen zu werden, noch dazu von einem Knaben. Deshalb entsann er sich meiner Worte und fand, dass du noch zu jung bist, um Teilhaber zu werden.«
Ipy starrte sie eine Weile an; dann lachte er – das Lachen klang nicht sehr vergnügt.
»Du bist klug, Esa, wenn du auch alt bist. Wir beide haben den hellsten Verstand von der Familie. Du hast bei unserem Spiel die erste Runde gewonnen. Aber du wirst sehen, die zweite gewinne ich. Pass also auf, Großmutter.«
»Das werde ich«, gab Esa zurück. »Pass aber du auf dich selber auf. Einer deiner Brüder ist tot, der andere wäre fast gestorben. Du bist ebenfalls der Sohn deines Vaters – vielleicht gehst du den gleichen Weg. Auch du hast Nofret beleidigt.«
Ipy lachte spöttisch.
»Nofret! Ich habe da so meine eigenen Gedanken, Großmutter. Und ich versichere dir, Nofret und ihre Geisterkunststücke machen mir keine Sorge. Dieses dumme Weib!«
Hinter ihm ertönte ein schriller Schrei, und Henet rief weinend: »Törichtes Kind! Die Tote herauszufordern! Und nicht einmal ein Amulett hast du zu deinem Schutz!«
»Ich schütze mich selber. Geh mir aus dem Weg, Henet, ich habe Arbeiten zu erledigen. Diese faulen Bauern sollen erfahren, wie es ist, einen wirklichen Herrn über sich zu haben.«
Ipy stieß Henet beiseite und schritt hinaus.
Esa schnitt Henets Klagen kurz ab.
»Antworte mir, Henet, hast du Kameni gesagt, dass Sobek Imhotep überredet hat, Ipy von der Teilhaberschaft auszuschließen?«
Henets Stimme senkte sich zu ihrem üblichen Jammerton.
»Ich habe gewiss zu viel zu tun, als dass ich meine Zeit damit verbringen könnte, alles mögliche zu erzählen – noch dazu gerade Kameni. Ich habe sicher kein Wort mit ihm geredet, wenn er nicht zu mir gekommen ist und mich angesprochen hat. Er hat ein angenehmes Auftreten, das musst du zugeben, Esa, und ich bin nicht die Einzige, die das findet. Und wenn eine junge Witwe ein neues Bündnis eingehen will, nun, dann wünscht sie sich gewöhnlich einen schönen, jungen Mann. Allerdings weiß ich nicht, was Imhotep dazu sagen würde. Kameni ist nur zweiter Schreiber.«
»Kümmere dich nicht darum, was Kameni ist! Beantworte meine Frage!«
»Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich gesagt
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