Raecher des Herzens
zurückstellte.
Caid lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten, drehte sein Glas zwischen den Händen und studierte den Rest der trüben Flüssigkeit, der noch darin schwappte. »Man munkelt, dein Freund, der Graf, habe unter den Brüdern unserer Zunft diskrete Erkundigungen eingezogen.«
»Tatsächlich?« »Er sucht jemanden, der gewillt ist, dir die Kehle durchzuschneiden. Es darf auch mit einem Degen sein.«
»Wie blutdürstig.«
»Gegen Bezahlung natürlich.«
»Ich hoffe, der Preis ist angemessen. Hat schon irgendjemand Interesse an dieser Art von Dienstleistung gezeigt?«
»Ich schätze, Broyard hat sich geradezu aufgedrängt. Aber auch mit dem Italiener La Roche, diesem Nicholas Pasquale, hat man den Grafen schon gesehen. Außerdem könnte er noch mit einigen anderen gesprochen haben.«
Rio nickte kurz. Was Caid sagte, klang plausibel. Wie ließ sich ein Feind besser aus der Welt schaffen als durch ein Duell mit tödlichem Ausgang? Ein Fechtmeister von Pasquales aufbrausendem Temperament war für diese Aufgabe sicher besonders geeignet. Dass sich der Graf nicht selbst die Hände schmutzig machen wollte, überraschte Rio nicht.
»Glaubst du, der Graf hat Angst vor mir?«
»Schon möglich«, sagte Caid. »Aber mich beschäftigt eine ganz andere Frage. Woher wusste Broyard, dass er dich provozieren kann, indem er Mademoiselle Vallier zu nahe tritt?«
»Meinst du, er ahnt, dass die Dame mir nicht ganz unbekannt ist?«
»Nicht ganz unbekannt? Welch eine vornehme Umschreibung.«
Rio schwieg. Sein Blick bohrte sich in die Augen des Freundes.
Caid senkte als Erster die Lider. »Lassen wir das.« Er nippte an seinem Glas. »Warum sollte er etwas ahnen?«
Das war eine gute Frage. In der Öffentlichkeit hatte man Rio bisher nur auf dem Maskenball mit Celina gesehen. »Das würde bedeuten, er lässt mich beobachten. Aber so etwas sieht eher dem Grafen ähnlich.«
»Warum sollte er das tun?«
»Graf de Lerida mag aussehen wie ein Trottel, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Mein Interesse an seinen Heiratsplänen hat mit Sicherheit seinen Verdacht erregt und ihn bewogen, gegen mich vorzugehen.«
»Das kann man ihm kaum verdenken. Nur die Methoden, die er dabei anwendet, sind nicht die allerfeinsten.«
In Caids Stimme lag ein fragender Unterton. Doch Rio ließ sich nicht aus der Reserve locken. »Du möchtest gern wissen, warum ich mich so sehr für den Grafen interessiere? Sagen wir, das Glück dieses Mannes, ob nun in der Ehe oder anderweitig, liegt mir nicht besonders am Herzen. Im Gegenteil. Ich bedaure jede Frau, die das Pech hat, ihm zu gefallen.«
»Weil seine beiden ersten Gattinnen allzu früh das Zeitliche segneten?«
»Auch deshalb.«
»Kanntest du etwa eine von ihnen näher?«
»Dein Scharfsinn ist bewundernswert.« Rios Interesse an der Dame war eher oberflächlicher Natur gewesen, doch die unwürdige Behandlung durch ihren Gatten, durch die sie schließlich in den Selbstmord getrieben wurde, hatte auch ihn mit Abscheu erfüllt.
Caid maß Rio mit einem forschenden Blick. »Aber das ist nicht alles.«
Rio empfand das als grobe Untertreibung, doch es gelang ihm, seiner Stimme einen neutralen Klang zu geben. »Sagen wir, zwischen dem Grafen und mir gibt es offene Rechnungen, und belassen wir es dabei.«
»Wie du meinst. Ich wollte dich nur wissen lassen, was ich erfahren habe. Die Feindseligkeit, die du dem Grafen entgegenbringst, beruht offenbar auf Gegenseitigkeit.«
»Tausend Dank für die Warnung«, sagte Rio. »Ich werde daran denken.«
Caid sah ihn lange schweigend an. Dann schob er sein halb volles Glas beiseite. »Ich weiß nicht, was du vorhast, mein Freund. Aber ich will dir noch einen Rat geben.«
»Und wie lautet er?«
»Sieh dich vor.«
Dann unterhielten sie sich über andere Dinge. Sie diskutierten über Harrisons Amtsführung. Dem neuen Präsidenten war es in den Wahlen im Herbst gelungen, nach vierzig Jahren die Demokraten zu schlagen. Anschließend erörterten sie die Vorstöße der Briten in China und deren Einfluss auf den Opiumhandel. Doch am meisten interessierten sich die Männer für die derzeitige Lage in Frankreich, wo die schlimmste Flut seit 250 Jahren ganze Landstriche verwüstet hatte und wo man gerade die Überreste Napoleons von St. Helena in den Invalidendom überführt hatte, um sie dort ehrenvoll beizusetzen. Von diesem Thema war es nicht weit bis zu dem Militärcoup, den Prinz Louis Napoleon vor ein paar Monaten unternommen hatte. Der
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