Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
waren die jungen Leute von heute eigentlich? »Wir müssen den reinziehen. Los!«, kommandierte sie. Und ohne auf den geladenen Revolver zu achten, den Jorina noch immer auf sie gerichtet hatte, eilte sie nach oben und fischte vor den verdutzt vom Boden aufblickenden Geiseln ihren Putzfrauenschlüsselbund vom Chefschreibtisch. Dann hetzte sie wieder die Treppe hinunter, schlich zum Haupteingang, linste durch die Tür, stellte fest, dass außer dem Alten im Vorraum keine Menschenseele zu sehen war, sperrte auf und zerrte den schweren Kerl vom Geldautomatenvorraum in den Schalterraum. Unglaublich, in was für Situationen man als bayerische Putzfrau geraten konnte!
Dann schloss Irene Heigelmoser die Panzerglastür eilig wieder zu und wandte sich erneut dem Leblosen zu, neben dem in der Zwischenzeit Jorina und Rififi niedergekniet waren.
Im nächsten Moment aber wäre Irene Heigelmoser beinahe selbst tot umgefallen, denn kaum hatte sie das linke Handgelenk des ein wenig müffelnden alten Mannes gepackt, um zu sehen, ob noch ein Puls da war, richtete dieser sich schwungvoll auf und flötete: »Ja, hallöle, meine Lieben. Hab ich’s doch g’wusst, dass ihr mich reinlasst’s, wenn ich a bissle Theater mach …« Fröhlich sah er die beiden Bankräuber und Irene Heigelmoser der Reihe nach an. »Habt’s gedacht, ich hätt einen Herzanfall?« Ohne eine Antwort abzuwarten, lachte er freudestrahlend und gluckste glückselig: »Ich hab zwar schon einmal ein Herzinfärktle g’habt, aber heut geht’s mir gut. Ich bin pumperlg’sund und munter. Aber ich bräucht bitte zehn Euro vom Sparkonto. Ich brauch nämlich eine neue Krawatte. Meine bessere Hälfte hat bald Namenstag.«
»Warum spriescht diese Mann so komisch?«, erkundigte sich Rififi, wobei er den vor ihm sitzenden Herrn studierte wie einen der immer seltener anzutreffenden Alpenmolche.
»Das ist ein Schwab«, stellte Irene Heigelmoser trocken fest.
»Fascht richtig. Ich bin Stuttgarter, also gebürtig«, ergänzte der Rentner bester Laune. »Wohn aber schon lang hier am See, dreißig Jahre. Ich sag immer: Isch doch des Paradies auf Erden hier.« Jovial wandte er sich Jorina zu. »Dieter Gräber mein Name. Kannscht Didi zu mir sagen.« Die schlanke Geiselnehmerin schüttelte reflexartig die ihr angebotene Hand.
Als Nächstes stellte der Alte eine Frage, die die Umstehenden verwirrte: »Aber woher kennen wir uns eigentlich? Aus’m Finanzamt?« Die ratlosen Blicke, die er hierauf erntete, schienen den weißhaarigen Bankkunden zu verunsichern, denn umgehend fragte er: »Wo sind mir hier überhaupts?« Keine Antwort. Nachdenklich strich er sich durchs Haar. Dann flüsterte er konspirativ: »Und jetzt verraten Sie mir noch eines: Wo ischt eigentlich meine Frau?«
Die Bankräuber beschlossen, die Geisel Dieter Gräber nicht wie die anderen auf dem Teppichboden unter dem Schreibtisch unterzubringen, sondern ihn auf dem Stuhl des Chefs festzubinden. Denn auch wenn Gräber behauptete, gesund zu sein, und vorher nur Theater gespielt zu haben, wollte man das Risiko eines echten Herzinfarkts nicht eingehen.
Als Rififi ihn aufforderte, auf dem kunstledernen Sessel von Robert Ochsenknecht Platz zu nehmen, kommentierte der Stuttgarter dies mit einem »Schöner Sessel«. Seine Fragen »Warum liegen Sie hier alle? Sind Sie müde?« blieben aus den unterschiedlichsten Gründen unbeantwortet: Ochsenknechts Mund mit den blutenden Lippen hatte man wieder verklebt, und Hannes Seliger und seine Kollegin Ernestine Rüdel schwiegen aus taktischen Erwägungen. Nur zu gut kannten sie den Kunden, den pensionierten Finanzbeamten Dieter Gräber. Er kam fast jeden zweiten Tag in die Bank, und wer das Pech hatte, ihn bedienen zu müssen, brauchte Nerven stark wie die Bootstaue der Linienschiffe auf dem See – und dazu jede Menge Zeit.
Und auch Irene Heigelmoser zog es vor, den offensichtlich nicht mehr ganz richtig tickenden Rentner über die Ernsthaftigkeit der Lage, in die er durch seinen schauspielerischen Einsatz an der Eingangstür geraten war, im Dunkeln zu lassen.
Eine Bank, die nicht sicher ist, ist keine Bank.
Martin Kaltwasser (Architekt und Künstler)
ZWEI
Anne Loop war genervt.
Erstens hatte ihre achtjährige Tochter Lisa heute Morgen eine Zickenparade hingelegt, die ihresgleichen suchte. Den kompletten Inhalt des Kleiderschranks hatte das blonde Mädchen auf dem Boden des Kinderzimmers verstreut, um sich dann für den Besuch bei einer Freundin den roten Wollpullover
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