Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
auszusuchen. An einem heißen Tag in einem der heißesten Sommer, die das Bergtal je erlebt hatte.
Dass Lisa genau diesen Wollpullover ausgewählt hatte, war doppelt bitter, denn damals, als Anne ihn besorgt hatte, hatte es die Tochter vorgezogen, in kurzem Rock, mit Seidenstrumpfhose und eigentlich schon zu kleinen Sandalen in die Schule zu gehen. Bei minus elf Grad und zwei Meter hohen Schneebergen an den Straßenkreuzungen.
Zweitens hatte just in dem Moment, in dem sich herausgestellt hatte, dass Anne auch noch vergessen hatte, Lisas verschwundene Taucherbrille zu suchen, die sie heute brauchte, Annes Exfreund Bernhard von Rothbach angerufen, weil er »nur mal fragen wollte, wie’s geht«.
»Tolle Idee, tolle Uhrzeit, es ist ein Arbeitstag.« Mehr war Anne dazu nicht eingefallen. Sie hatte aufgelegt. Wer kurz nachdem er sich mit der Begründung, »er brauche mal eine Pause, um eine Verhaltenstherapie gegen seine Depressionen zu machen«, aus ihrem Leben schlich, um wenig später seine Therapeutin zu schwängern, konnte kein offenes Ohr, geschweige denn eine ehrliche Antwort auf eine Frage bezüglich ihrer Befindlichkeit erwarten.
Und nachdem »erstens« und »zweitens« zwar nicht sinnvoll gelöst, aber irgendwie aus dem Weg geschafft waren, hatte, drittens, Annes Mountainbike einen Plattfuß, knapp hinter Gut Kaltenbrunn, also noch ein ganzes Stück von der Polizeidienststelle in der westlichen Seegemeinde entfernt.
Sie hatte dem Impuls widerstanden, das Fahrrad einfach in die Böschung zu werfen, und war stattdessen, das Fahrrad schiebend, zur Polizeiinspektion gejoggt.
Ein entgegenkommender Autofahrer in einem dieser höhergelegten Geländefahrzeuge, die man zurzeit fuhr, wenn man etwas auf sich hielt, hatte eigens sein Tempo gedrosselt, um ihr ›den Vogel‹ zu zeigen, und aus einem mit Schulkindern besetzten Bus hatte ihr ein maximal siebenjähriger Junge den Stinkefinger gezeigt.
Als Anne Loop an der Dienststelle ankam, war ihr T-Shirt wegen des ungeplanten Frühsports und der Sommerhitze so nass, dass man das Spitzenmuster ihres BHs durchscheinen sah. Natürlich registrierte die Polizistin den spöttisch-anzüglichen Blick des Kollegen, der den Türöffner der Inspektion drückte, um sie einzulassen.
Zügig verschwand sie im Untergeschoss, stellte sich kurz unter die Dusche und schlüpfte in die Dienstuniform. Sie wollte gerade wieder nach oben gehen, da hörte sie ein Rumpeln aus einer der beiden Zellen, die unter anderem zum Ausnüchtern Betrunkener dienten. Im vergangenen Jahr hatte auch einmal der Bürgermeister der nördlichen Seegemeinde einige Tage in einer der Zellen verbracht. Aber das ist eine andere Geschichte.
Neugierig ging Anne zur Zelle und schaute durch die Türöffnung.
In dem kleinen Raum führte ein Mann mit blond gefärbter Mähne einen durchaus beeindruckenden Veitstanz auf. Er trug eine etwas exotische Kombination aus bayerischer Lederhose und Cowboystiefeln. Sofort musste Anne an den Schlagersänger Hanni Hirlwimmer denken, eine der bedeutenden Persönlichkeiten, die das Tal neben der Olympiasiegerin im Riesenslalom hervorgebracht hatte.
»Wer ist der Suppenkasper, der da unten in der Zelle herumtobt?«, erkundigte sich Anne eine Minute später bei ihrem Kollegen Sepp Kastner, mit dem sie sich das Dienstzimmer teilte.
»Den haben wir gestern auf dem Rosstag eingesammelt. Er behauptet, er wär’ der Hanni Hirlwimmer«, erwiderte Kastner, neununddreißig, ledig, aber nicht mehr ganz so stark auf Frauensuche wie noch zwei Jahre zuvor.
»Und deswegen habt ihr ihn eingesperrt?«, fragte Anne überrascht, während sie sich auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch fallen ließ.
»Nein, sondern weil er total dicht war und alle Frauen angemacht hat. Der wollte denen sein Autogramm auf die Brust schreiben – mit einem Edding!« Sepp Kastner schüttelte den Kopf. »Also was zu weit geht, geht zu weit. Mit einem normalen Stift hätte man das ja vielleicht noch durchgehen lassen können …«
Anne fixierte den Kollegen mit schmalen Augen. »Mit einem normalen Stift ist es also okay, wenn ein Besoffener den Frauen auf die Titten schmiert, oder was?«
»Ja, nein, also …«, stammelte Kastner.
»Also was?«, fragte Anne herausfordernd. »Ist es okay, wildfremden Frauen die Titten vollzuschmieren?«
»Nein, natürlich nicht.« Kastner fühlte sich in die Ecke gedrängt. »Viel schlimmer war aber, dass der dem echten Hirlwimmer eins aufs Aug’ gegeben hat.«
»Und warum war das
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