Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
sehr gut mit der Innenseite des linken Knies. Doch um mit dem Knie das Blaulicht zu aktivieren, dazu hätte man ein Zirkusartist sein müssen. Das war Kurt Nonnenmacher, verheiratet und magenkrank, wohnhaft in einem alpenländisch gestalteten Haus mit Freisitz und Blick auf Kurpark und Gulbransson-Museum, definitiv nicht. Ehe er an der Bank aus dem Wagen stieg, stellte er die noch halb volle Bierflasche im Fußraum des Beifahrersitzes ab und wuchtete anschließend seinen schweren Körper aus dem Fahrzeug.
Anne Loop unterrichtete ihren Vorgesetzten detailliert über die Vorfälle und teilte ihm ihre Einschätzung mit: dass man es hier mit einer lebensgefährlichen Situation zu tun habe.
»Also, jetzt einmal langsam«, meinte Nonnenmacher so selbstherrlich wie ein bayerischer Großbauer nach dem Frühschoppen. »Muss ich hier jetzt erst einmal das kleine Abc der Kriminalwissenschaft herunterbeten, oder was? Was ist denn Fakt, ha?«
Er sah Anne Loop prüfend an, die wegen seines Atems (Leberkäse, Bier) einen Schritt zurückwich, sich aber nicht verunsichern ließ. »Fakt ist, Herr Nonnenmacher, dass eben in der Bank geschossen wurde.«
»Und dass jemand laut geschrien hat«, ergänzte Sepp Kastner, der mittlerweile von der Leiter heruntergestiegen war.
»Und zwar ungefähr so: ›Auuuaaaaääähiiiiiiiiuuu!‹«, versuchte auch der Polizeilehrling Hobelberger seinem Chef den Ernst der Lage zu veranschaulichen.
Nonnenmacher verzog schmerzverzerrt das Gesicht, blickte über den See hinweg zum Wallberg, sog tief die Gebirgsluft ein und sagte dann: »Wir müssen systematisch und planmäßig vorgehen. Respektive lehrbuchmäßig. Was heißt das ganz konkret, Hobelberger?«
Der Lehrling sah seinen Chef verunsichert an, woraufhin dieser leicht genervt die folgenden Worte herunterbetete: »Die Grundregeln des Durchsuchens und Verhaftens: Räumliche Verhältnisse beurteilen …«. Nonnenmacher wartete mit aufforderndem Blick, doch von Hobelberger kam nichts. Also fuhr er fort: »Ausdehnung beachten – was auch immer das heißt –, untypische Verhältnisse berücksichtigen. Beachten, dass Menschen längere Zeit in untypischen oder unbequemen Haltungen verharren können, natürliche oder künstliche Hohlräume …« Wieder blickte er den Azubi erwartungsvoll an, aber der starrte schweigend auf seine schwarzen Goretexschuhe. »Ja, sakra, Hobelberger, was haben Sie denn im Kopf?«
»Dass da gerade in der Bank etwas nicht stimmt«, meinte Hobelberger eingeschüchtert. »Und dass wir da handeln müssten, jetzt.«
»Waaas?«, herrschte Nonnenmacher den Polizeiazubi an.
»Ähm, Herr Nonnenmacher«, nutzte Anne die durch Hobelbergers Angst und Nonnenmachers Erstaunen entstandene Redepause. »Ich glaube, Ihnen ist nicht ganz klar … also … ähm … da drinnen wurde geschossen. Es könnte sein, dass da gerade jemand stirbt. Ich weiß nicht, ob wir jetzt hier … an dieser Stelle … Zeit haben für Lehrlingsausbild…« Ein Traktor ratterte vorbei, Nonnenmacher grüßte freundlich, indem er kurz zwei Finger an die Dienstmütze hob – »servus, Sepp«, sagte er mehr zu sich selbst. Anne verlor die Geduld und sagte deshalb laut und abgehackt: »Wir. Müssen. Handeln. Jetzt, sofort! Hier muss die Kripo her oder ein SEK, weil da drin passiert gerade etwas Schlimmes, da sind Menschenleben in Gefahr.«
Als hätte er Anne nicht gehört, fuhr Nonnenmacher, an Hobelberger gerichtet, fort: »Vorab wichtig bei polizeilichem Eindringen in Gebäude mit nachfolgender Festnahmeabsicht: gedeckte Annäherung, Sicherung vorhandener Fluchtwege, Bereithaltung Schusswaffe.«
»Herr Nonnenmacher!«, unterbrach Anne ihren Chef mit Nachdruck. Sie war nun richtig böse. Auch die Filialleiterin der Bank, die bislang in schweigendem Staunen dem merkwürdigen Dialog beigewohnt hatte, schüttelte ungläubig den Kopf.
Ehe Anne etwas Undiplomatisches von sich geben konnte, meinte Sepp Kastner vorsichtig: »Du, Kurt, mir müssen da jetzt wirklich was machen. Das ist ja vielleicht ein Banküberfall, und geschossen wurde auch schon.«
Nonnenmacher kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn ohne dass jemand es bemerkt hätte, hatte sich eine Frau, die in ihrer weißen Kleidung aussah wie eine Sprechstundenhilfe, von hinten der Gruppe genähert.
»Wissen Sie, was mit der Bank los ist? Ich wollt Geld abheben, aber da ist zu.« Sie wandte sich an Frau Dr. Klamm. »Sie sind doch die Chefin hier, oder? Sagen’S einmal, was ist denn heut’ los bei euch?
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