Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
schönen alten Bahnhofsgebäude mit den weinrot bemalten Fensterbögen und der zweiflügeligen braunen Holztür hinüber.
»Das sehe ich ganz genauso«, stimmte Dr. Klamm zu. »Und ich denke, es ist das Beste, jetzt mal reinzugehen und zu schauen, wo der Fisch stinkt.«
Doch ehe sie wieder durch den schmalen Gang zum Hintereingang eilen konnte, stellte sich Anne ihr in den Weg.
»Das werden Sie jetzt mal schön bleiben lassen.« Sie wandte sich ihrem Kollegen zu. »Sepp, ruf den Chef an.«
Der Anruf brachte leider nicht die erhoffte Entscheidung, wie in dieser mysteriösen Situation verfahren werden sollte. Denn anstatt einer klaren Dienstanweisung teilte der bärtige Inspektionsleiter Kurt Nonnenmacher lediglich mit, dass er Kopfweh habe, vermutlich sei das letzte Bier, das er gestern auf dem Rosstag getrunken habe, schlecht gewesen.
Was man jetzt tun solle, wollte Kastner wissen.
»Tja, keine Ahnung«, knarzte Nonnenmachers Stimme aus Kastners Handy. »Ihr seid’s vor Ort, ihr habt’s die Verantwortung. Ich bin hier, ich kann’s nicht beurteilen.«
»Aber du bist der Chef!«, ermahnte Sepp Kastner ihn, worauf Nonnenmacher nichts erwiderte. Der Dienststellenleiter trug zwar den gleichen Nachnamen wie ein schlagzeilenträchtiger Banker, doch dessen Wendigkeit besaß er nicht.
»Frag ihn, ob er nicht wenigstens herkommen will«, flüsterte Anne ihrem Kollegen zu. »Damit er sich einen Eindruck verschaffen kann …«
Doch Nonnenmacher behauptete, gleich eine wichtige Telefonkonferenz mit dem Polizeipräsidenten von Oberbayern zu haben. Anne war sich hundertprozentig sicher, dass das gelogen war. Der faule Sack war einfach nur verkatert. Aber zumindest versprach der Dienststellenleiter, den Polizeimeisteranwärter Alfred Hobelberger zu schicken. Zur Verstärkung. Dann stöhnte er noch theatralisch, dass er ja so Kopfweh habe, und legte auf.
Immerhin nahmen die Polizeilehrlinge ihre Arbeit noch ernst, denn Hobelberger kam auf seinem Moped derartig schnell angeflogen, dass Sepp Kastner für einen Augenblick den Impuls in sich verspürte, den Antrieb des Gefährts einer kritischen Prüfung zu unterziehen. War es vorstellbar, dass der Nachwuchspolizist mit einem frisierten Zweirad herumkurvte?
Doch für derartiges Misstrauen unter Kollegen war nun nicht der richtige Zeitpunkt. Einmal mehr mussten die Beamten in diesem seit wenigen Jahren auffällig häufig von kriminellen Machenschaften erschütterten Tal eng zusammenstehen.
In diesem Fall bedeutete das Zusammenstehen allerdings das genaue Gegenteil: Sepp Kastner verabschiedete sich von den anderen und ging auf die dem Bahnhof zugewandte Frontseite der Bank, um dort den Haupteingang abzusichern. Anne Loop, Hobelberger und Dr. Henrike Klamm dagegen wandten sich der Hintertür zu. Anne nahm ihre Dienstwaffe in Anschlag und die noch verschlossene Tür ins Visier, über der leise ein Ventilator surrte. Der Polizeilehrling Hobelberger, der wegen seiner Jugend und wegen der noch nicht abgeschlossenen Polizeiausbildung keine Schusswaffe tragen durfte, hob den Schlagstock nach oben, als handelte es sich um einen Revolver. Gerne hätte er auch die täuschend echt aussehende Spielzeugpistole geholt, die er in der Satteltasche seines Mopeds immer dabei hatte (man konnte nie wissen, wann man sie einmal brauchen konnte), aber das war ihm vor den Kollegen dann doch zu brenzlig.
Annes Herz klopfte bis zum Hals, als die stellvertretende Filialleiterin den Schlüssel ins Schloss steckte, ihn drehte und vorsichtig gegen die Tür drückte.
Alle drei schwiegen erwartungsvoll. Anne schossen wirre Gedanken und zahllose Fragen durch den Kopf: Was würde sie im Inneren der Bank erwarten? War überhaupt jemand drin? Aber wenn nicht, wo waren dann die Mitarbeiter? Handelte es sich wirklich um einen weiteren Banküberfall?
Jetzt hatte Dr. Klamm die Tür aufgesperrt und einen Spalt weit aufgeschoben. Anne spannte die Muskeln an. Doch dann kam die Aktion ins Stocken.
»Los, machen Sie auf«, zischte die Polizistin ungeduldig.
»Geht nicht«, flüsterte Henrike Klamm, die plötzlich nicht mehr so wagemutig und selbstbewusst wirkte wie gerade eben noch.
»Wie – was – geht nicht?«, fragte Anne, jetzt schon nicht mehr ganz so leise. Vorn auf der Wiesseer Straße dröhnte der Motor eines vorbeifahrenden Sportwagens.
»Die Tür, die geht nicht auf.« Dr. Klamms Stimme flatterte. »Das ist nicht normal. Normal geht die ganz einfach auf.« Sie blickte Anne verängstigt an.
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