Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
sorgen würde, wenn die nach Landidylle lechzenden Urlauber am Bahnhof auf einmal auf »ein Polizeiaufgebot wie bei einem Spiel des TSV 1860 München« stoßen würden, empfahl Anne Loop dem Dienststellenleiter, die Kollegen in Tarnkleidung herzubestellen.
»Aber Tarnuniformen sind ja auch nicht unauffälliger«, gab Nonnenmacher zu bedenken.
»Doch keine Tarnuniformen!« Anne war genervt. »Hören Sie, ich telefoniere gerade auf dem Fahrrad, ich habe jetzt keine Zeit für lange Diskussionen. Meine Tochter wartet. Ich meine, die Kollegen sollen sich irgendwelche unauffälligen Klamotten anziehen. Was eben passt. Jetzt seien Sie halt bitte auch einmal ein bisschen kreativ!«
Das ließ sich Kurt Nonnenmacher nicht zweimal sagen. Und so staunte der Besitzer des Bahnhofskiosks nicht schlecht, als er einige Stunden später beim Absperren seines Geschäfts – die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden – allerorten junge Männer mit ordentlich geschnittenen Haaren und gewandet in Wander-, Segel- und Schwimmbekleidung um den Bahnhof herumlungern sah. Manche lasen Zeitung, einige tippten auf ihren Smartphones herum, und wieder andere schnitzten Holzmännchen. Als er einen der komischen Vögel darauf hinwies, dass heute kein Zug mehr fahren würde, erhielt der gutmütige Kioskmann von dem in knielangen Badehosen und T-Shirt gekleideten jungen Mann eine, so empfand es jedenfalls der Einheimische, pampige Antwort. Da er jedoch schon sehr lange im Tal lebte und allerlei Merkwürdigkeiten und Eskapaden von seinem Kiosk aus beobachtet hatte, nahm er es nicht allzu schwer. Allerdings war heute schon ein äußerst seltsamer Tag gewesen, dachte er bei sich. Aber wer unter erholungsgestressten Touristen und glamourösen Millionären lebte, durfte sich nicht zu viel wundern.
Nach dem Telefonat mit Nonnenmacher rief Anne noch kurz bei der Freundin ihrer Tochter an und sagte deren Mutter, dass sie Lisa nach Hause schicken könne, sie, Anne, sei jetzt gleich da.
Erst als die Polizistin ihr kleines, direkt am See und in der Nähe des einstigen Anwesens des Schriftstellers Ludwig Ganghofer liegendes Haus betreten und, noch in Uniform, drei große Schlucke eines eilig gemixten Hugo zu sich genommen hatte, fiel alle Anspannung von ihr ab.
Als ihre Tochter bald darauf das Haus betrat, schloss sie sie glücklich in die Arme.
»Wo warst du so lange?«
»Bei der Bank.«
»Haben wir wieder kein Geld?«, fragte das Kind. Denn natürlich hatte auch Lisa mitbekommen, dass sich die finanzielle Situation ihrer Kleinstfamilie nicht verbessert hatte, seit Annes Exfreund Bernhard von Rothbach sich aus ihrem Leben verabschiedet hatte. Zwar hatte er als Doktorand nicht viel Geld zum gemeinsamen Haushalt beigesteuert, aber dadurch, dass er nicht mehr bei Anne und Lisa wohnte, brauchte Anne viel mehr Geld für Lisas Nachmittagsbetreuung.
»Nicht wegen uns war ich bei der Bank«, seufzte Anne.
»Sondern?«
»Sondern nichts.« Anne hatte keine Lust, über ihre Arbeit zu sprechen.
»Sondern schon was!«, insistierte Lisa.
Anne gab auf: »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?« Lisa nickte und blickte ihre Mutter ernst an. Sie hatte Annes blaue Augen geerbt, aber ihre Haare waren im Gegensatz zu denen ihrer Mutter blond. »Ehrenwort?«
»Ehrenwort.« Mutter und Tochter reichten sich die Hand. »Gut. Also: Die Bank ist überfallen worden.«
»Boah, ein echter Banküberfall?«, fragte Lisa. »Das ist ja cool!«
»Nein, das ist nicht cool. Die Täter sind bewaffnet und haben Geiseln genommen.«
»Was wollen die denn mit den Geißen? Die kacken doch nur alles voll.«
»Nicht Geißen, Geiseln. Menschen, die sie bedrohen und die sie dazu verwenden können, um uns dazu zu bringen, irgendwelche Forderungen zu erfüllen.«
»Die wollen natürlich Geld«, stellte die Achtjährige fachmännisch fest.
»Vielleicht«, meinte Anne. »Aber irgendwie kommt mir ihr Verhalten seltsam vor.« Anne dachte nach. »Der eine von ihnen spricht Deutsch mit französischen Akzent. Und dann ist da noch diese Frau. Sie hört sich jung an, und sie spricht wie eine Ostfriesin.«
»Wie sprechen Ostfriesen?«
»Lustig.«
»Wie ›lustig‹?«
»›Wor de Nordseewellen trecken an den Strand, wor de geele Ginster bleit in Dünensand, wor de Möwen schrieen gell in Stormgebrus, dor ist miene Heimat, dor bin ick to Hus.‹ So – lustig«, sagte Anne.
»Woher kannst du das?«
»Ich war mal im Urlaub dort. Da habe ich das gelernt, das ist das
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