Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
doch seien sie nicht an das Geld herangekommen, weil der Tresorschlüssel nicht in der Bank gewesen sei. Nun säßen sie in der Bank fest. »Unterstützt unseren Bankräuberfrühling!«, sagte die junge Frau, die eindeutig mit ostfriesischem Akzent sprach, am Ende des Videos. »Wir werden euch in den nächsten Tagen per Videoblog über unsere Aktivitäten auf dem Laufenden halten. Auch unsere konkreten politischen Forderungen werden wir dann bekannt geben.« »Wir sind die neunundneunzig Prozent!«, fügte der junge Mann hinzu. Und wegen seines französischen Akzents war Anne sofort klar, dass er es war, mit dem sie vor einigen Stunden gesprochen hatte. Das waren die Geiselnehmer.
Anne startete das Videoblog noch einmal und betrachtete es mit höchster Konzentration: Die beiden wirkten alles andere als gefährlich. Anne schätzte sie auf Anfang zwanzig. Er war schlank und hatte ein schmales, blasses Gesicht, sein Haar war schwarz und halblang. Auf seinem weißen T-Shirt war der Schriftzug OCCUPY zu sehen. Die junge Frau hatte blonde Zöpfe und trug Shorts sowie ein schwarzes Shirt. Konnte es sein, dass diese beiden jungen Leute Verbrecher waren? Sie wirkten so harmlos! Aber das Mädchen hielt zweifellos einen Revolver in der Hand. Und sie hatte damit auch bereits geschossen. Man musste die beiden ernst nehmen. Vielleicht waren sie verrückt. Aber das machte die Sache noch gefährlicher. Und die Anonymous Bankräuber standen ganz offensichtlich nicht allein da. Denn obwohl die Seite in dem Netzwerk erst seit einigen Stunden existierte, hatten bereits dreihundertachtunddreißig User den Gefällt-mir-Button gedrückt.
Sofort rief Anne Sepp Kastner an, der sich mit müder Stimme meldete.
»Sepp, die sind online! Die haben im Internet ein Blog eingerichtet. Die machen voll einen auf Öffentlichkeit!«
»Was?«, fragte Kastner verständnislos.
»Die sind total durchtrieben, die haben schon einen Film in der Bank gedreht und den ins Netz gestellt. Und die sammeln Unterstützer. Die sind von der Anonymous-Bewegung!«
»Echt? Dann müssen wir den Kurt anrufen.« Er gähnte. »Mein Gott, Anne, ich bin saumüde. So eine Scheiße!«
Die beiden schwiegen kurz. Dann meinte die Polizistin: »Den Nonnenmacher … Meinst du nicht, dass der ausflippt, wenn ich mich so spät noch melde?«
»Es ist doch erst zwölf Uhr durch«, erwiderte Kastner.
»Aber der geht doch immer schon um zehn ins Bett.«
»Soll ich ihn anrufen?«, bot Kastner an.
»Nein, ich mach das schon. Schau du dir mal die Seite an. Das ist krass. Die werden uns noch richtig Probleme machen.« Anne streckte sich gähnend. »Also dann, tschau!«
»Pfiati, Anne!«
Es klingelte mindestens zehnmal, bis Kurt Nonnenmachers Frau Helga sich meldete: »Nonnenmacher?«
»Guten Abend, Frau Nonnenmacher, hier spricht Anne Loop von der Dienststelle. Entschuldigen Sie die späte Störung, aber könnte ich bitte mal Ihren Mann sprechen?«
»Der schläft schon. Geht’s um die Bankräuber?«
»Ja.«
»Dann, warten’S, ich bring ihm das Telefon ans Bett.«
Anne hörte, wie Helga Nonnenmacher durch das Haus lief und kurze Zeit später offensichtlich an der Schlafstatt des Inspektionschefs angelangt war, denn sie sagte: »Kurt, wach auf, die Frau Loop ist am Apparat.«
»Was?«
»Es geht um die Bankräuber.«
»Was denn für … Ach so, ja dann.« Es knisterte, und Nonnenmacher meldete sich nun direkt, aber mit sehr schlaftrunkener Stimme, wie Anne fand: »Frau Loop, was gibt’s?«
»Die Bankräuber!«
»Ja?«
»Die sind im Internet!«
»Ja, und?«
»In einem sozialen Netzwerk. Die haben einen Film ins Netz gestellt.«
»Ach, Frau Loop, mit so was kenn ich mich doch überhaupts nicht aus. Da kümmern bitte Sie sich drum!«
»Ja, aber das geht doch nicht! Die ganze Welt wird bald auf unser Tal schauen. Wir brauchen eine Strategie!«
»Die ganze Welt? Jetzt gehn’S! Das ist doch bloß das Internet.« Er gähnte. »Tun’S mir einen Gefallen: Erzählen’S mir das alles doch bittschön morgen.«
»Nein, Herr Nonnenmacher! Die gehören zu dieser Anonymous-Gruppe.«
»Anonymous? Nie gehört.«
»Das gibt’s doch nicht!« Anne konnte es nicht fassen. »Darüber steht doch jeden Tag etwas in der Zeitung.«
»Ja, aber so einen Internetzscheiß les ich nicht. Das Internetz, das ist mir wurscht, das ist eine Modeerscheinung, mehr nicht.«
»Das ist keine Modeerscheinung, das ist Anonymous! Das ist echt, das ist das Leben, die sind eine Macht!«
»Ach
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