Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
geworden. Johann Bibertal hatte abgesagt. Er sei »arbeitsüberlastet«. Auch so ein Juristenwort. Anne vermutete, dass das mit der Arbeitsüberlastung nur vorgeschoben war. Wahrscheinlich war sie Johann Bibertal nicht attraktiv genug gewesen. Natürlich sagten ihr alle, sie sehe blendend aus, gerade so wie die berühmte Angelina Jolie. Nun war Anne nicht unglücklich über ihr Aussehen. Aber ihr Selbstbewusstsein war dennoch nicht sehr groß. Und die Vergleiche mit Angelina Jolie gingen ihr sowieso auf die Nerven. Diese Übermutter mit dem Superkörper und der Traumehe war doch eine totale Kunstfigur. Und ob die wirklich immer so glücklich war mit ihren vielen Kindern? Klar hatte man als Hollywoodstar das Geld, um sich Kindermädchen, Putzfrauen und noch allerhand anderes zu leisten. Aber wenn ein Kind Kummer hatte, wenn es krank wurde oder nachts nicht schlief, wenn es Probleme in der Schule gab oder wenn es einfach nur mit seiner Mutter spielen wollte, dann war auch Angelina Jolie nur eine ganz normale Mutter, die sich um all dies kümmern musste. Und das war anstrengend.
Nachdem Anne Lisa wieder zu ihrer Freundin gebracht hatte – zum Glück klappte diese private Art der Ferienbetreuung problemlos –, fuhr sie gar nicht erst zur Dienststelle, sondern direkt zur Bank. Dort wurde sie von einem ziemlich verwüstet aussehenden Sepp Kastner empfangen. Er hatte die Nacht auf einer Pritsche im Gartenhäuschen verbracht.
»Und? War was?«
»Nein, nix. Die haben zwar die ganze Nacht das Licht brennen lassen, aber sonst war nix.«
»Wir brauchen hier unbedingt Computeranschluss und Telefon«, meinte Anne, als sie sich im Vorraum der Hütte umsah.
»Kommt alles heute Vormittag.« Sepp Kastner gähnte. »Ich bin so saumüd’. Also auf so einer harten Liege schlafen, das geht gar nicht.«
»Dann geh jetzt mal nach Hause.« Anne schaute zum Bahnhof hinüber, an dessen Außenwand drei ziemlich verstrubbelt aussehende Bergsteiger lehnten und, mit etwas Abstand, ein Mann im grünen Jägeroutfit, der allerdings normale Turnschuhe trug, sowie zwei auffällig unauffällig dreinschauende Männer in weißen Seglerklamotten. Ein weiterer Segler lag auf einer Holzbank und schlief.
Anne musste schmunzeln: »Du, und wann werden die Kollegen, die sich so schnuckelig verkleidet haben, abgelöst?«
»Die nächste Schicht müsste eigentlich längst da sein.«
»Na, dann bin ich ja mal gespannt, was denen noch als Maskerade einfällt. Vielleicht kommt auch mal einer im Dirndl oder sogar im Hirschkostüm?«
Als Sepp Kastner sie verlassen hatte, führte Anne ein kurzes Telefonat mit dem Kripochef Schönwetter. Sie unterrichtete ihn über die neuesten Entwicklungen, insbesondere über die Tatsache, dass es den Bankräubern gelungen war, von der Bank aus ein Videoblog ins Netz zu stellen.
»Na ja, das werden die halt mit unserem iPhone gemacht haben«, kommentierte Schönwetter. »Solange die keine Geiseln umbringen, können die wegen mir so viele Blogs ins Netz stellen, wie sie wollen. Unser Job ist es, die Geiseln zu befreien, Frau Loop. Lebendig.«
»Schon klar, aber was sind unsere nächsten Schritte?«, wollte Anne wissen.
»Wir warten jetzt erst einmal ab. Erfahrungsgemäß kommt irgendwann eine konkrete Forderung. Nachdem wir die Forderung nach dem zweiten Tresorschlüssel nicht erfüllt haben, wird es halt irgendeine andere sein. Insgesamt sollten wir aber zusehen, dass der Zustand nicht zu lange anhält. Je länger Geiselnehmer unter Druck stehen, umso unberechenbarer werden ihre Handlungen.«
Anne wechselte das Thema: »War der Todesfall, zu dem Sie gestern mussten, eigentlich ein Mord?«
»Es sieht danach aus. Die Auffindesituation der alten Frau in der Badewanne wirkt auf mich zu konstruiert, als dass ich an einen natürlichen Tod glauben kann.«
Schönwetter unterrichtete Anne noch darüber, dass er das Polizeipräsidium über die Geiselnahme informiert hatte und dass man damit rechnen musste, dass demnächst auch der Innenminister aufkreuzte. »Schauen wir mal, ob er mit einem Bagger angefahren kommt!«, lachte Schönwetter. Der bayerische Politiker hatte erst kürzlich beim Spatenstich für eine Umgehungsstraße im Allgäu einen Bagger im wahrsten Sinne des Wortes »in den Sand gesetzt« und sich dabei schwer verletzt. Im Internet kursierte ein Film über den Vorfall.
Direkt nachdem Anne aufgelegt hatte, erreichte sie ein Anruf von Kurt Nonnenmacher. Der Dienststellenleiter war ganz aufgeregt. Er erklärte, dass
Weitere Kostenlose Bücher