Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
geben?«
»Also, ich weiß nicht …«, zögerte die Sekretärin.
»Es geht um die Geiselnahme bei uns am See«, polterte Nonnenmacher ungeduldig. »Der Herr Minister hat mich gebeten, dass ich ihn direkt informiere.«
»Ach so, Geiselnahme am See, ja, ja, einen Moment, ich verbinde Sie mit dem zuständigen Referenten.« In der Warteschleife hörte Nonnenmacher die Bayernhymne, welche er natürlich mitsummte. Seine Lieblingsverse waren: »Und erhalte dir die Farben seines Himmels, weiß und blau!« Nonnenmacher empfand »das mit dem blau-weißen Himmel« als unglaublich zutreffend und gut formuliert, weil der bayerische Himmel ja wirklich wesentlich blauer und weißer war als in jedem anderen Land der Erde, außer vielleicht auf den Malediven, aber wahrscheinlich waren die Werbeprospekte der Reisebüros sowieso gefälscht. Die Welt war ein einziges Lügengebäude, sah man einmal vom Land der Weißwurst ab.
Als die fröhliche Melodie endete, hörte Nonnenmacher gleich, dass er auf ein Handy weitergeleitet worden sein musste, denn es drang eine beeindruckende Geräuschkulisse an sein Ohr. Aha, dachte sich der Inspektionschef, der Minister ist einmal wieder dem Volk ganz nah, vermutlich in einem Festzelt. Dann hörte er die schnarrende Stimme eines Mannes, wohl des Referenten: »Hubersinn am Apparat!«
»Grüß Gott«, sagte Nonnenmacher. »Ich bin der Polizeichef vom See. Ich müsst’ einmal den Herrn Innenminister sprechen.«
»Der badet gerade in der Menge.«
»Ja, das hör ich schon«, antwortete Nonnenmacher. »Aber vielleicht kann er ja kurz einmal auftauchen. Es geht um die Geiselnahme.«
»Wie bitte?« Der Geräuschpegel im Hintergrund war exorbitant, das Gerede und Lachen unzähliger Personen, Blasmusik röhrte.
»Gei-sel-nah-me!«, schrie Nonnenmacher ins Telefon.
»Geißenfahne?«, kam es lautstark zurück.
»Nein, sakra.« Nonnenmacher spürte, wie er zu schwitzen begann. Anne Loop lächelte ihn auf eine Weise an, dass er sich nicht sicher war, ob sie sich nicht über ihn lustig machte.
»Banküberfall!«, schrie Nonnenmacher jetzt. »Am See! Der Minister war doch hier! Er weiß Bescheid! Mir brauchen die GSG9, Zefix! Franzosen und Ostfriesen! Die sind gefährlich! Los jetzt, geben’S mir den Minister, sonst passiert was!«
»Ich verstehe Sie nicht«, schrie der Referent. »Der Minister verkostet gerade einen Radi. Das ist jetzt ungünstig. Bitte rufen Sie in zehn Minuten noch einmal an.« Dann war die Leitung unterbrochen.
»Ja, da legst dich nieder«, keuchte Nonnenmacher und ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Was ist?«, fragte Sepp Kastner.
»Der Herr Minister badet in der Menge …« Nonnenmacher schnappte nach Luft. »… und verkostet einen Radi.« Aber so kraftlos der Dienststellenleiter wirkte, gelang es ihm doch, und dies nur Sekunden später, mit der bloßen Hand eine Fliege zu erschlagen. Der Computer wackelte, blieb aber auf dem Tisch stehen.
»Die haben jetzt schon viertausend Freunde«, sagte Anne. Als sie mit der Maus aus Versehen auf das Video der Geiselnehmer klickte, ertönte wieder das französische Lied mit dem Akkordeon. Nonnenmacher hielt sich theatralisch die Ohren zu.
»Die sind doch nicht gefährlich«, meinte Anne, mehr zu sich selbst als zu den anderen. »Das sind ja noch Kinder …«
Ein starker Politiker ist ein Segen für sein Land. Und der Innenminister war nun wirklich ein Mann der schnellen Entscheidungen.
Angesichts der sprunghaft wachsenden Anzahl von Bankräuberfrühling-Unterstützern im Internet befürchtete er, von den Geiselnehmern im Bergtal könnten Unruhen ausgehen, die sich flächenbrandartig über ganz Bayern ausbreiten würden. Das galt es unbedingt zu verhindern. Dabei hatte der Politiker weniger Angst vor Unruhen denn mehr seinen weiteren Karriereweg im Blick: Es war sonnenklar, dass er eines Tages Ministerpräsident werden wollte. Und natürlich würde er sich diesen ambitionierten Plan nicht von zwei dahergelaufenen Jugendlichen aus dem Ausland vermasseln lassen. Da könnte ja jeder daherkommen!
So schwebten die Hubschrauber der GSG9 in den ersten Stunden des nächsten Tages in das Tal ein. Als Landeplatz diente ihnen der illegale Hubschrauberlandeplatz beim Anwesen des Milliardärs Kürschner, dessen mysteriöser Tod die Polizisten vom See in einem anderen spektakulären Fall beschäftigt hatte. Bayerns oberster Sicherheitspolitiker hatte den Zugriff auf Donnerstag zwischen drei Uhr und drei Uhr dreißig angeordnet. Wenn alles glatt
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