Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
genau genommen die ganze Welt – von dem ungeheuerlichen Wunsch der Anonymous Bankräuber: Jules und Jorina forderten die Ermittler dazu auf, ihnen Ehefähigkeitszeugnisse zu besorgen und einen Standesbeamten herbeizuschaffen: Sie wollten heiraten.
»Das ist nicht wahr!« Nonnenmacher schnaubte, als er es las.
»Die sind ein Fall fürs Irrenhaus!«, meinte Sepp Kastner.
Anne sagte nichts. Bei aller Gewalt, die das Verbrechen nach sich zog, war sie doch auch auf merkwürdige Weise von dem Bankräuberpaar fasziniert.
Die Organisation der geforderten Unterlagen stellte sich als gar nicht so einfach heraus. Insbesondere die Beschaffung des Ehefähigkeitszeugnisses für den Franzosen Jules Trufot war problematisch. Doch weil die Bankräuber in ihrer Videobotschaft angedroht hatten, den schwer verletzten Ochsenknecht zu töten, und man nach den Vorfällen der vergangenen Nacht wusste, dass die Geiselnehmer zu allem bereit waren, hatte Anne sich dafür eingesetzt, die höchsten politischen Kreise einzuschalten. Und tatsächlich: Nach einem Telefonat des bayerischen Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin klingelte jene beim französischen Präsidenten durch, der seine Beamten beauftragte, unverzüglich die geforderten Papiere für Jules Trufot zu beschaffen. Auch ein Brautkleid und Eheringe wurden organisiert.
Heftiger Widerstand regte sich allerdings, als Nonnenmacher und Kastner erfuhren, dass der Franzose in bayerischer Tracht heiraten wollte.
»Ja, so weit kommt’s noch!«, schimpfte Nonnenmacher. »Dass ein zugereister Verbrecher jetzt auch noch unsere Tradition schändet. Eine Lederhosen bekommt der ausg’schamte Baumbisler nur über meine Leiche! Und die handgestrickten Wadlstrümpf kann der genauso vergessen wie den Jagerhut mit echtem Gamsbart!«
Doch die Situation war ernst. Und so befand sich der französische Bankräuber Jules Trufot, genannt Rififi, bald im Besitz einer tiefschwarzen Lederhose mit hellgrüner Stickerei sowie handgestrickten Wadlstrümpfen mit grün abgesetztem Blattmuster. Ein stolzer Gamsbart zierte den in Windeseile angefertigten Trachtenhut, und sogar Nonnenmacher war noch am Leben (wenngleich mit einem irrsinnig grimmigen Magen), als der Bürgermeister der nördlichen Seegemeinde die Trauung am Freitag per Online-Liveschaltung vollzog.
Die Braut hatte sich Lippen und Fingernägel passend zu den Lederhosenstickereien grün geschminkt (Nonnenmachers Kommentar: »So a Hex’!«) und trug ein traumhaftes weißes Kleid, oben eng anliegend und mit weitem Rock. Sowie einem raffinierten technischen Detail: Als die Zeremonie zu Ende war und der Brautkuss anstand, genügten Jorina wenige Handgriffe, um zwei Klappen im Oberteil zu öffnen. Ihre Brüste reckten sich daraufhin für jeden, der die Hochzeit online verfolgte, stolz und aufrecht in die Kamera wie die Dächer der Sacré-Cœur am Pariser Montmartre. Unterhalb der Brustwarzen stand, auch mit grünem Lippenstift geschrieben, das Wort »FEMEN«. Jorina zog ihren glücklichen Bräutigam zu sich heran und forderte ihn auf, zuerst die beiden Brüste zu küssen und dann ihren Mund. Der Franzose reagierte wegen dieser Vermengung von Politik und Privatem kurz überrascht, kam der Aufforderung seiner geliebten Braut dann aber zügig nach. Da soll noch einer sagen, dass, wo Liebe ist, kein Platz für Revolution sei.
In der darauffolgenden Hochzeitsnacht, welche ohne Zuschauer stattfand, gestand Jorina ihrem Ehemann, dass sie gamsig sei und sich ein Kind von ihm wünsche.
»Gamsig?«, fragte Jules und küsste ihre Lippen. »Was bedeutet das?«
Jorina flüsterte ihm etwas ins Ohr, und beide kicherten. Dann meinte Jules leise: »Erst Schießerei mit die GSG, dann ’eirat …«
»H…«, unterbrach sie ihn. »Heirat!«
»… und dann sie will mit mir schlafˇon. Was ’abe iesch mir nur geangelt für eine Flittschön!«
»Ich will ein Kind von dir«, hauchte sie ihm ins Ohr.
Gleich danach hatten die Frischverheirateten Sex – und zwar lachend, kieksend und singend, während vor der Bank die GSG9 und Fernsehübertragungswagen aus vierzehn Ländern standen. Konnte man sich eine prickelndere Hochzeitsnacht wünschen?
Sogar der schwer verletzte Filialleiter Ochsenknecht im Nebenzimmer hörte auf zu wimmern, als er der Vereinigung lauschte. Dass man beim Sex lachen konnte, war ihm völlig neu. Diese Anonymous-Leute waren schon ganz schön verrückt. Der aus tiefem Schlaf erwachte Dieter Gräber sagte: »Frau Häuslebauer, erscht die
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