Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Besitz einer zweiten Waffe.
»Komm her!«, schrie die Bankräuberin. »Gib mir deine Hand!«
Anne streckte Jorina ihre Hand hin. Diese packte sie fest und zog Anne in den Flur hinein. Im selben Moment ließ die Bankräuberin den verängstigten Filialleiter, dessen Gesicht völlig blutleer war, los und gab ihm einen Schubs, sodass er nach draußen stolperte.
Ehe Anne es sich versah, fiel die Tür hinter ihr zu, und sie stand, nur bekleidet mit ihrer lächerlichen Frotteeunterwäsche und den Socken, vor dieser Jorina und deren neuem Komplizen, dem dementen Altenheimsflüchtling Dieter Gräber. Jener hielt ihr auch gleich – ganz Gentleman der alten württembergischen Schule – seinen Arm hin und fragte, ob er ihr etwas anbieten könne – »Kaffee und ein Stückle Erdbeersahne? Erlaubet’Se mir, dass ich Sie in die Kantine begleite?«
Anne sah Jorina verunsichert an. »Geh mit ihm«, kommandierte sie und deutete mit dem Kopf in Richtung Treppe.
»Sehr, sehr hübsch, Ihr …« Er fahndete im Synapsendschungel seines Hirns nach der passenden Bezeichnung und entschied sich dann für: »tekschtiler Auftritt. Wisset’Se, ich war als Agent einmal in Afrika. Der Neger ischt ja auch gerne leicht bekleidet. Aber … jetzt frag ich mich gerade: Woher kennet mir uns eigentlich?« Anne fühlte sich unwohl. Sie kam sich vor wie im Irrenhaus.
Oben trafen sie auf Jules, der sie ernsten Blicks in eines der Büros schickte. Kurz darauf betrat Jorina den Raum, forderte Dieter Gräber auf, hinauszugehen, und befahl Anne: »Zieh dich aus!«
»Ganz?«
»The full monty, yes. Reine Vorsichtsmaßnahme. Wir brauchen hier keine Wanzen.«
Ohne der kleinen Tätowierung, die Anne neben ihrem gepflegt rasierten Schamhaar hatte, auch nur einen Blick zu schenken, nahm Jorina Anne die Elefantenunterwäsche weg und reichte ihr einen Slip und einen BH in neutralem Weiß sowie ein T-Shirt und blau-weiß gestreifte Shorts.
»Lustige Unterwäsche. Wo gibt’s denn heute noch Frottee?«
»Habe ich von meiner Tante bekommen. Meine Tochter findet’s auch schrecklich. Hätte ich heute Morgen gewusst, dass ich mich in der Öffentlichkeit ausziehen muss, hätte ich …«
»Du hast ’ne Tochter?«
Anne nickte. »Ja.«
»Das ist jetzt aber wohl nicht wahr, oder? Haben die eigentlich den Arsch auf, die Bullen? Schicken hier ’ne Mutter rein? Haben die niemand anderen gehabt, der das hier regeln kann?«
Anne zuckte die Schultern. »Ich wollte das.«
»Und deine Tochter?«
»Ich habe es ihr erklärt.«
»Erklärt!«, regte Jorina sich auf. »Hat die das denn kapiert? Wie alt ist sie denn?«
»Acht. Sie heißt Lisa.«
Jorina schwieg nachdenklich, dann fragte sie: »Wie ist das denn so, Elternsein und so?«
»Schön … und … anstrengend … aber … es gibt dem Leben eine Richtung, einen … Sinn …« Was sollte Anne auf diese ernste Frage in dieser wahnwitzigen Situation schon antworten?
Jorina nickte. »Ich will auch ein Kind.« Nachdenklich sah sie zum Fenster. »Ich bin vielleicht schon schwanger.«
Nun sah Anne sie entsetzt an. »Und wieso machst du das dann hier? Einen Banküberfall? Als Schwangere?«
»Nein, nein, bevor wir hier rein sind, war ich natürlich noch nicht schwanger. Aber jetzt …«
»Was?« Anne konnte es nicht glauben.
»Wir haben doch geheiratet …« Jorina sagte den Satz, als wäre es das Normalste der Welt, während einer Geiselnahme zu heiraten.
»Ja, das haben wir alle mitbekommen.«
»Und danach war ja die Hochzeitsnacht …« Jorina lächelte Anne an. »Echt schön!« Ihre Augen glänzten.
»Aber … also …«, stotterte die sonst so eloquente Anne. »Meinst du denn, es ist gut für das Kind, also, der Stress, den du hier hast?«
»Das wird hier ja wohl nicht ewig gehen.« Jorinas Stimme klang jetzt plötzlich hart. Anne fragte sich, ob die Frau vielleicht einfach schizophren war, eine komplett durchgeknallte Psychopathin, deren Launen sekündlich wechselten.
»Ja, aber was kommt danach, also nach der Geiselnahme?«, erkundigte sich Anne.
»Wir hauen ab.« Jorina schaute erneut zum Fenster.
»Klar.« Anne nickte. Sie nahm sich vor, Jorina nicht zu widersprechen. Sie musste alles dafür tun, die Geiselnehmer in Sicherheit zu wiegen.
»Wo ist deine Tochter jetzt?«
»Bei einer Freundin.« Anne schwieg kurz, bevor sie fortfuhr. »Warum macht ihr das alles?«
»Was?«
»Den Überfall, die Geiselnahme …« Anne blickte die Ostfriesin ernst an.
»Weißt du, wir finden, es muss sich was ändern.
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