Räuberleben
anderes Mittel hätte genützt. Urschel verstummte und glättete ihren langen schwarzen Rock, in den die roten Fäden eingewoben waren, die Dieterle so gefielen. Jetzt war er voller Grasflecken, und die würden sich, sagte die Bremin bedauernd, kaum noch auswaschen lassen.
Hannikel passt gut für den Dad, obwohl sein richtiger Name Jakob ist. Hannikel wie der Ochse, starkknochig, breitschultrig. Er ist nicht groß, sondern bloß stämmig, trotzdem muss man ihm gehorchen, wenn er einen scharf anschaut. Er habe es lange versucht, ein Sesshafter zu sein, erzählte er am Feuer, als ihn eines Abends die Schwermut überkam. Wildhüter sei er gewesen, danach Holzarbeiter in der Glashütte bei Lützelstein, und dann sei ihm immer wieder seine Herkunft in die Quere gekommen, die dunkle Gesichtsfarbe, obwohl doch sein Vater Tambour im Hessen-Darmstädtischen Regiment gewesen sei. Jeden kleinen Diebstahl in der Glashütte habe man ihnen, den Zigeunern, in die Schuhe geschoben. Man habe ihn und die Seinen verjagt, man habe sie in die Räuberei hineingedrängt. Aus purer Not habe er die ersten Diebstähle begangen, und wer einmal auf diese Laufbahn geraten sei, könne sie kaum mehr verlassen. Er sei gewiss kein Unschuldslamm, sagte er dann weinselig, er habe gebeichtet und gebüßt bei der schwarzen Muttergottes in Einsiedeln. Er schone doch alle guten Christen, die Katholiken zuvorderst, nehme ihnen nur ab, was er benötige. Bei Juden sehe er’s anders, was Juden horteten, hätten sie ohnehin von Christen gestohlen. Vom Toni sagte der Dad nichts an jenem Abend, aber alle, die ihm zuhörten, dachten an Toni, man sah es ihnen an.
Es wurde Sommer auf ihrer langen Wanderung, die eine Flucht war, was denn sonst? Schon im Rheintal redeten die Leute anders als in Schwaben, man verstand sie kaum. Wie es weitergehen solle?, fragte Dieterle wieder den Dad. Wie lange noch? Wohin? Einfach weiter, sagte der Dad. In die Berge wolle er, zu den freien Schweizern, und sein Bruder Wenzel, der Blatternarbige, pflichtete ihm bei: In den Bergen flossen zwar nicht Milch und Honig, aber es gebe Wild, das keinem Herzog gehöre, es gebe Käse, den man einhandeln könne. Ob sie denn irgendwann die Daj wiedersehen würden, und die Dennele und die Baba?, fragte Dieterle. Ganz sicher, beruhigte ihn der Dad und strich ihm mit seiner rauhen Hand über den Kopf, dann drückte er den Sohn so heftig an sich, dass es weh tat. Sie kämen bald alle wieder zusammen, die ganze Sippschaft, am liebsten im freien Bündner Land, er werde sie rufen, sobald Gras über die Geschichte gewachsen sei und Schäffer sich anderen Geschäften widme, und sie alle würden seinem Ruf folgen. Also weiter, Tag für Tag.
Ins Liechtensteinische kamen sie, dann nach Maienfeld, wo links und rechts die Berge emporwuchsen wie steinerne Schreckgestalten. Bei Untervaz fanden sie in einer Burgruine einen gut geschützten Zufluchtsort. Es standen noch einige Mauern, man lagerte in einer Art Innenhof. Kein allzu schlechtes Leben. Die Sommeräpfel waren schon reif, auch Eichhörnchen- und Igelfleisch ließ sich verzehren, wenn ihnen mal kein Hase vor die Flinte lief. Sie konnten im Dorf ihre Dienste als Kesselflicker und Scherenschleifer anbieten, das wenige Porzellan, das sie noch mittrugen, verschachern. Die Dörfler zeigten sich gutwillig. Theres sagte ihnen eine glückliche Zukunft voraus, Geuder geigte, Wenzel mit dem starken Brustkorb führte vor, wie er eine um ihn gewundene eiserne Kette sprengen konnte, die Urschel legte wieder ihre Ohrringe an, mit der Bremin tanzte sie und zeigte ihre Beine unter dem fliegenden Rock, in dem die roten Fäden schimmerten. Dieterle wusste nicht, ob er jetzt ruhig schlafen durfte, ob dies schon das neue freie Leben war. Er sammelte Feuerholz, zusammen mit seinem Bruder Bastardi, dem nun schon der Bart wuchs, sie fingen Forellen in einem Bach. Mit fremden Leuten sprach er nicht. Manchmal setzte er sich zu Geuder, dem Eigenbrötler, der meist nur das Nötigste sagte. Dieterle aber brachte er bei, Kruzifixe zu schnitzen, von denen er hoffte, dass sie in der Umgebung Absatz fänden. Er versprach Dieterle auch, ihm zu zeigen, wie sich aus dünnen Brettern eine Fiedel bauen ließ. Das sei aber kompliziert, schon nur wegen der Saiten, die aus Schafdarm gedreht werden müssten; im nächsten Sommer vielleicht, wenn sie nicht mehr auf der Flucht seien, könnten sie sich die Zeit dafür nehmen.
Nach einem starken Gewitter, das sie unters Gewölbe getrieben
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