Räuberleben
er viel Wein getrunken hatte, roch er aus dem Mund, deshalb traute er sich nicht, sie zu küssen, auch diese Rücksichtnahme hatte sie ihm abverlangt. Es war aber doch, bei zurückgeschlagener Decke, die Berührung von Haut mit Haut, und da spielte es weiß Gott keine Rolle, ob sie welk war oder jung und straff, auf Wärme und Nähe kam es an, so viel hatte ihm das Leben immerhin beigebracht. Ihre Fingerspitzen an seinem Rücken, seine Hände an ihren Hüften. So war es gut, so kam der Schlaf. Es war ihm manchmal ein Trost, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit vor Franziska sterben würde; sie zu verlieren, würde er nicht ertragen. Zugleich erfüllte ihn diese Aussicht zuweilen - doch nie lange - mit Groll.
Er galt den Jahren, die sie noch vor sich hatte und er nicht.
Weit sank er hinunter, zuckte zusammen, sank weiter. Man brachte ihm feierlich ein verschnürtes Bündel aus Tierhäuten, es wurde ihm überreicht von den Vertretern der Landstände, die ihn höhnisch ansahen. Ungeschickt fingerte er an den Knoten herum. Jemand wollte ihm helfen, eine Dame mit hoch aufgetürmtem Haar, es war seine Mutter Maria Augusta, jünger, als er sie je gekannt hatte, und hinter ihr stand Monieon, der Hauslehrer, und lachte ihn aus. Kaum hatte die Mutter die Schnüre berührt, fiel das Bündel auseinander, zum Vorschein kam eine Leiche, bläulich geschrumpft, mit blicklos starrenden Augen. Er warf sich herum, er schlug um sich, und es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass Franziska im Nachthemd an seiner Seite saß und ihn mit Trostworten und Berührungen zu beruhigen versuchte. Da war auch schon die Kammerfrau mit brennender Kerze und einem Krug Wasser hereingekommen; bei ähnlichen Gelegenheiten hatte er nach Wasser verlangt. Er trank gierig. Das Kerzenlicht ertrug er nicht, er kniff die Augen zu, er wollte nach der Kerze schlagen.
Franziska hielt seinen Arm fest. »Du hast so laut geschrien«, sagte sie, nachdem die Kammerfrau gegangen war. »Es hat mir richtig ins Herz geschnitten. Was ist das nur? Fast jede Nacht träumst du schlecht.«
Er griff sich an die schweißnasse Stirn. »Schon gut«, murmelte er. »Die Mutter. Es war die Mutter.«
»Sie liegt seit dreißig Jahren im Grab. Sie soll dich in Ruhe lassen.«
»Ich habe sie vom Hof verbannt. Das zahlt sie mir immer noch heim.«
»Sie war streitsüchtig. Sie hat dich gedemütigt. Du musstest handeln.«
Der Herzog betastete seine Brust, unter der das Herz immer noch viel zu schnell schlug. »Aus meinen Träumen kann ich sie nicht verbannen.« Er merkte zu seiner Beschämung, dass über seine Wangen Tränen flossen.
Sie wischte sie ihm mit dem Kissenzipfel weg. »Papele, mein armer Papele.« Schon lange hatte sie ihm diesen Kosenamen nicht mehr gegönnt; nun, da sie ihn so zärtlich aussprach, wurde seine Rührung noch größer. Sollte er ihr den ganzen Traum erzählen? Es ging nicht.
»Schlaf jetzt wieder.« Wenig fehlte, und Franziska hätte ein Schlaflied gesummt. Ihre Hände waren kühler als seine Stirn. Im schwachen Mondlicht, das durchs Fenster kam, sah sie aus wie ein guter Geist.
Ja, schlafen. Er war gar nicht mehr der Herzog, er war ein Kind, das in seiner Wiege dahintrieb auf sanft schaukelnden Wellen, es gab nichts, was das Kind entscheiden musste.
Sulz am Neckar, 14. Juli 1787
Dieses Mal war der Oberamtmann nicht dabei. Er hatte die Verhöre geführt, die Anklage verfasst; aber das Urteil, das am Vorabend eingetroffen war, mussten vorschriftsgemäß die Stadtbehörden und Mitglieder des Malefizgerichts verkünden. So bewegte sich am frühen Morgen des 14. Juli 1787 eine respektgebietende Gruppe vom Sulzer Rathaus langsam zum oberen Turm. Sie bestand aus dem Bürgermeister Nestle, dem Stadtschreiber Zennek, der eine Schriftrolle in der Hand hielt, zwei Ratsherren und dem Diakon Grundler. Alle trugen ihre Amtstracht samt Hut; ihre Gesichter waren ernst. Ein paar Schritte hinter ihnen ging der Schreiber Grau, den Schäffer als Zeugen mitgeschickt hatte. Musste Schäffer der Urteilseröffnung schon fernbleiben, so wollte er zumindest einen minutiösen Bericht über die Reaktionen der vier Todgeweihten. Es sei nicht Neugier, die er zu befriedigen wünsche, hatte er zu Grau gesagt, vielmehr das Verlangen, aus erster Hand zu erfahren, ob die Schwerstmögliche Strafe bei den Übeltätern Reue und innere Umkehr zu bewirken vermöge.
Hammerschläge klangen durch die Gasse, man hörte Frauenlachen vom Brunnen her. Der Tag versprach wieder
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