Räuberleben
besah. »Ist Ihnen nicht gut?« Als Grau verneinte, fuhr er fort: »Dann heraus jetzt mit der Sprache! Wie haben die vier es aufgenommen?«
Grau rapportierte: Wenzel habe ein lautes Klagelied angestimmt. Nottele habe sich ganz unerschüttert gezeigt und einzig ein »In Gottes Namen« gestammelt. Der kurzbeinige Duli sei gleich auf die Knie gefallen, dies zur Freude des Diakons, doch dann habe er sich, zu dessen Missfallen, der Heiligen Mutter Gottes und dem Heiligen Antonius anempfohlen. Am längsten verweilte Grau natürlich bei Hannikel und seinen Wünschen für die letzten drei Tage seines Lebens.
Schäffer hörte mit skeptischer Miene zu, ließ Grau aber ausreden. »Er will viel zu viel, der Kerl«, sagte er. »Hannikel bleibt Hannikel. Er ist noch frech, wenn es mit ihm zu Ende geht. Wir können ihm nicht alles gewähren.« Den katholischen Geistlichen seiner Wahl werde man herbeiholen. Pfarrer Reininger, fügte er mit spürbarer Ironie hinzu, sei zum Glück immer zur Stelle, wenn es darum gehe, eine sündige Seele zu erretten. Die Eheschließung allerdings müsste von höherer Stelle, wohl vom Herzog selbst, bewilligt werden; er, Schäffer, habe bisher gezögert, das Gesuch abzuschicken, das Grau im Namen der Katharina Frank entworfen habe. Er bezweifle nämlich, dass der Herzog, obwohl selbst Katholik, dazu bereit sei, um eines Verbrechers willen die protestantische Mehrheit im Land gegen sich aufzubringen.
Man könnte ja, wagte Grau einzuwenden, die Trauung im Geheimen vollziehen lassen; es fordere doch immerhin Respekt ab, dass Hannikel sein über Jahre dauerndes illegitimes Verhältnis mit der Katharina Frank vor seinem Tod noch legalisieren wolle.
»Warum will er das unbedingt?«, fragte Schäffer und zupfte an der außer Form geratenen Manschette herum, die unter seinem Rockärmel hervorschaute. »Was verspricht er sich davon?«
Grau besann sich kurz. »Er will wohl vor sich und den Seinen bezeugen, dass es ihm mit diesem Verhältnis ernst war und immer noch ist, gerade unmittelbar vor dem Tod.«
Schäffer stopfte die Manschette unter den Ärmel zurück. »Er hatte ja mehrere Beischläferinnen. Die sind ihm davongelaufen. Oder er hat ihnen den Laufpass gegeben. Von Heirat war da nie die Rede, trotz der Kinder.«
Graus Hände lagen übereinander auf dem Pult, er betrachtete seinen Handrücken so aufmerksam, als lese er aus dem Geflecht der Adern die richtige Antwort. »Mit keiner ist er so lange zusammen gewesen wie mit Käther«, sagte er. »Ich schließe nicht aus, dass zwischen ihnen mit den Jahren eine echte Zuneigung gewachsen ist.«
»Sie schließen es nicht aus?« Nun klang aus Schäffers Worten ein kleiner Spott. »Wir wissen es genau, mein lieber Grau. Sie sind einander herzlich zugetan und zeigen es auch. Das stört uns kleinmütige Bürger doch. Wir halten uns zurück. Wir sind eben keine Zigeuner. Oder möchten Sie ein Zigeuner sein?« Das Lachen, das Schäffer versuchte, misslang und wurde zu einem merkwürdigen Laut zwischen Grunzen und Kichern.
Ratlos, beinahe erschrocken schaute Grau ihn an. »Nein, gewiss nicht. Man muss als Zigeuner geboren sein, um als Zigeuner zu leben. Ich denke, die Vorsehung stellt uns an den Platz, der uns zusteht, und unsere Aufgabe ist es, ihn nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen.«
»Sehr fatalistisch, lieber Grau. Aber überaus vernünftig. Er wäre ein guter Prediger geworden. Dann hat die Vorsehung ja auch die Zigeuner an ihren Platz gestellt, nicht wahr? Und wie sollen sie ihren Platz ausfüllen, die Zigeuner? Mit Fleiß und Pflichtbewusstsein wie wir beide? Aber wohin führt denn zigeunerischer Fleiß, mein lieber Grau? Zum Wildern? Zum Stehlen?« Nun war Schäffers Lachen kräftiger. Hatte er etwa getrunken? Konnte es sein, dass die Horber ihm zu viel Wein eingeschenkt hatten und in seinem Kopf nun einiges durcheinanderging? Grau zog es vor zu schweigen, und Schäffer stützte hinter seinem schweren Schreibtisch eine Weile den Kopf auf beide Hände und schwieg ebenfalls. Seine Lippen waren geschürzt, die Augen geschlossen, als schlafe er gleich ein. Grau fiel auf, wie geschwollen und entzündet die Lider aussahen; das ließ eher auf Übermüdung als auf Trunkenheit schließen.
Dann aber riss Schäffer sich zusammen, er richtete sich auf, wischte mit der Handkante über die Schultern, wie wenn sie staubig geworden wären. In seiner üblichen Art, aus der alles Verworrene getilgt war, wies er den Schreiber an, das Gesuch der Katharina
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