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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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wie ihm, und als der Stadtschreiber Zennek bejahte und hinzufügte, dass auch Nottele und Duli zusammen mit ihm sterben würden, flossen, ohne dass er ein weiteres Wort sagte, Tränen aus seinen Augen. Sie blieben am Bart hängen und tropften auf den Boden.
    Die Wände rückten für Graus Empfinden enger zusammen. Es war, als entstünde unter ihrem Druck aus all den Menschen, die hier drin waren, ein einziges unglückliches Wesen. Zennek zupfte mehrmals seine Perücke zurecht und sagte zu Hannikel, er werde noch heute ins Rathaus überführt, wo er die letzten Tage seines Lebens unter schärfster Bewachung, aber in Bequemlichkeit verbringen werde, dies gönne man in Württemberg den Todgeweihten.
    Hannikel gebot nun wieder über seine Sprache und reihte hastig aneinander, was er sich wünsche und was ihm doch jetzt zustehe. Von seinen Lieben wolle er sich gebührend verabschieden, dafür möge man ihm Zeit gewähren. Den Pfarrer Reininger aus Espasingen, der ihn letzthin besucht habe, möge man als seinen geistlichen Beistand herbestellen, der solle ihn nach katholischem Ritus mit seiner lieben Käther vermählen, das sei ihm am wichtigsten.
    »Genug!«, rief der Diakon Grundler dazwischen, der sich in seinem evangelischen Glauben angegriffen fühlte. »Das ist ganz unmöglich. Gehen wir, überlassen wir den Sünder seiner Gewissensqual!«
    Der Bürgermeister nickte, die Männer hatten es eilig hinauszugelangen, drängelten sich, um nicht Letzter zu sein. Der Letzte war dann wieder Grau. Die ganze Zeit hatte Hannikel weitergeredet, kauernd nun. Man möge ihm eine letzte Nacht mit seiner lieben Käther gewähren, sagte er mehrmals, und dass Dennele kein Leid getan werde, wünsche er sich, ebenso, dass Dieterle als Kind behandelt und begnadigt werde, und dann wieder, als Grau schon die Treppe hinunterging: Käther und ihn solle man, gesegnet sei Maria die Hilfreiche, im Schoß der katholischen Kirche zusammengeben. Unversehens, noch bevor Grau unten war, brach der Wortstrom ganz ab; vielleicht war Hannikel erneut der Mund verschlossen worden.
    Im Sonnenlicht, das inzwischen die Gasse erreicht hatte, folgte Grau den anderen zum Stadtgefängnis. Mit schnellen Schritten verkürzte er den Abstand zu ihnen; ihre Eile war wieder der feierlichen Gemächlichkeit gewichen. Drei weitere Konfrontationen standen ihnen bevor. Man brauchte Kraft dazu, man durfte sich vom Elend der Verurteilten nicht erweichen lassen, man handelte in höherem Auftrag. Die Gruppe wurde von allen, denen sie begegnete, mit Hütelüften und Verbeugungen gegrüßt. Man flüsterte einander zu, weshalb die Amtsträger zu dieser frühen Stunde unterwegs waren. Überall in weitem Umkreis, wo man die Nachricht von Boten hörte oder auf Amtszetteln las, bereitete man sich darauf vor, am Dienstag nach Sulz zu kommen, um zuzuschauen, wie die Gerechtigkeit ihren Lauf nahm. Bald würde auch Dieterle erfahren, dass sein Vater sterben musste. Eben schloss Grau wieder zu den Amtsträgern auf; er war im wahrsten Sinn des Worts ein Mitläufer. Hätte er denn, mit den geringen Möglichkeiten seiner Geburt, etwas anderes werden können? Ein Gesetzesbrecher etwa, ein Rebell? Über die rätselhafte Anziehung, die in diesem Gedanken lag, ging man am besten hinweg, man stand ohnehin schon vor dem Gefängnistor.
     
    Gegen Mittag saß Grau in Schäffers Amtszimmer und erstattete Bericht. Der Oberamtmann war um fünf Uhr früh, verschiedener Geschäfte wegen, in der Kutsche nach Horb gefahren und hatte den dortigen Kollegen über den Ausgang der Hannikel-Affäre unterrichtet. Er war erhitzt von der Rückfahrt unter der stechenden Sonne und rot im Gesicht; dennoch hatte er den Rock nicht ausgezogen. Aufgeheizt hatte ihn wohl auch das Lob der Stadtoberen von Horb, die Schäffers Verdienste um die Sicherheit im Herzogtum ausgiebig gerühmt und gewürdigt hatten. Dies jedenfalls ließ Schäffer gleich am Anfang in die Unterredung einfließen. Abgesehen davon wartete er ja seit Wochen auf ein Zeichen vom Hof, das über eine nüchterne Verdankung hinausging. Es war bisher nicht gekommen.
    Dass Schäffer in Horb gewesen war, versetzte Grau einen Stich. Er hätte ihm ein Geschenk für Sophie mitgeben können. Aber das gehörte sich nicht. Schäffer hatte sich noch nie nach dem Privatleben des Schreibers erkundigt, und Grau hatte seinerseits nie erwähnt, dass er eine Tochter hatte.
    Schäffer musterte ihn kritisch, ähnlich wie Grau sich bisweilen seine geflügelte Beute unter der Lupe

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