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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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schön und heiß zu werden. Noch war es kühl. Zennek, der schwergewichtige Stadtschreiber, der die Gruppe bei der letzten steilen Stelle anführte, schwitzte dennoch schon beträchtlich. Er hatte die Anwesenheit Graus, der in der komplizierten Beamtenhierarchie unter ihm stand, zuerst nicht dulden wollen, sich dann aber der Anweisung des Bürgermeisters Nestle, der mit Schäffer befreundet war, fügen müssen.
    Schlag sieben Uhr waren sie beim oberen Tor, über dem sich der gedrungene Turm erhob. Hier, im ersten Geschoss, war Hannikel untergebracht. Zwei Wachsoldaten mit geschulterten Musketen empfingen die Delegation, einer führte die Männer die enge Treppe hinauf zur Zelle, die geräumiger war, als man von außen erwartete. Aber es roch nach Moder, die Fenster, eher Schießluken, ließen nur wenig Licht herein.
    Hannikel lag in der hinteren Ecke auf einem Haufen Stroh. Er stand, von seinen Ketten behindert, sogleich auf, als die Männer eintraten, und schaute ihnen bestürzt entgegen. »Die Herren«, brachte er hervor, »was wollen die Herren?« Sein Bart war noch länger und struppiger geworden; es war ihm offenbar seit Monaten nicht mehr gestattet, ihn zu stutzen.
    »Ihr seid«, sagte der Stadtschreiber Zennek feierlich, »Jakob Reinhardt, genannt Hannikel?«
    Der Angeredete kratzte sich, zum Klirren der Ketten, an der Nase, dann an der Brust. »Wer sonst?«
    Zennek stellte sich, eine Armlänge vor den übrigen Amtsträgern, in Positur, entrollte die Urteilsschrift, indem er sie am obern und untern Rand festhielt, brachte sie dicht vor sein Gesicht und las mit gravitätischer Betonung vor, dass gegen den Delinquenten Jakob Reinhardt vulgo Hannikel aufgrund seiner schweren und gotteslästerlichen Verbrechen das Todesurteil ergangen sei und am nächsten Dienstag durch den Strang vollzogen werde. Dieses Urteil sei endgültig, es gebe keine Berufung. Hannikel habe nun drei Tage Zeit, sich auf den Tod vorzubereiten und seine Reue zu bekunden.
    Solange Zennek las, rührte sich Hannikel nicht. Aber aus seinem Gesicht war das Blut gewichen; die dunkle Hautfarbe war gelblich geworden, der schwarze Bart, durch den sich Silberfäden zogen, bildete einen starken Kontrast dazu.
    Kaum hatte Zennek geendet, ergriff der Diakon Grundler das Wort. Der Verurteilte, sagte er im Ton des geübten Predigers, solle sich dem Herrn ergeben, er solle beten, seine Übeltaten beweinen und als guter Christ, im Glauben ans Evangelium, sterben, so komme er, falls ihm vergeben werde, doch ins Himmelreich. Der Diakon hätte wohl noch lange weitergesprochen, hätte nicht auf einmal Hannikel beide Arme, an denen die losen Ketten hingen, weit ausgebreitet. So stand er da und schien mit rasselnden Atemzügen um Luft zu ringen. Das irritierte den Diakon derart, dass er den Faden verlor und verstummte. Die Stille, die nun in der Zelle herrschte, wollte niemand durchbrechen; nur von draußen drang das Gelächter mehrerer Frauen herein. Da sank Hannikel, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, lautlos in sich zusammen. Plötzlich stieß er einen Schrei aus, der beinahe zu einem Geheul wurde, ihm folgten einzelne Wörter: »Warum? Warum?«, verstand Grau, und dann: »Was habe ich getan? Was denn? Was?«
    Das brachte die Besucher aus der Fassung. »Er soll schweigen!«, rief der Bürgermeister Nestle. Ein stämmiger Wachsoldat, der im Gang gewartet hatte, drängte sich an den Herren vorbei, er warf sich über Hannikel, verschloss ihm mit der Hand Mund und Nase und stellte ihn grob auf die Beine. So hielt er ihn fest; ein paar Augenblicke glaubte man eine zum Standbild gewordene Umarmung zweier Männer vor sich zu sehen. Doch beide zitterten vor Anstrengung, und als Hannikel sichtlich keine Luft mehr bekam, befahl der Bürgermeister dem Wächter, ihn loszulassen. Grau hätte sich am liebsten weggestohlen, aber er schuldete Schäffer einen vollständigen Bericht. Hannikel sog gierig die Luft ein. Dann redete er weiter, und jetzt unterbrach ihn niemand mehr: Es sei nicht gerecht, was man ihm antue, man müsse ihn begnadigen, er sei ein Beschützer Württembergs gewesen, er habe den Juden das Geld weggenommen, das sie anderwärts gestohlen hätten, er habe gemeint, dies sei erwünscht. Er fuhr fort zu lamentieren, aber auf einmal hielt er inne, als ob ein neuer Schreck ihn getroffen habe, er öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, dann fragte er, leise jetzt, ob seinem Bruder Wenzel das gleiche Schicksal bevorstehe

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