Räuberleben
Frank mit einer Empfehlung Schäffers zu ergänzen. Darin stand unter anderem, die katholische Trauung zwischen dem Delinquenten Jakob Reinhardt und seiner langjährigen Beischläferin müsste aus bekannten Gründen vor Dienstag erfolgen. Der Brief wurde mit Eilpost nach Stuttgart gesandt, ein weiterer ging nach Espasingen zum Pfarrer Reininger mit der Aufforderung, unverzüglich aufzubrechen, um Hannikel beizustehen und ihm das letzte Geleit zu geben.
Noch andere Erlasse, Aufträge, Einladungen wurden verschickt. Besprechungen fanden statt, es herrschte ein Kommen und Gehen, das Grau nur noch mit Mühe überblickte. Eine Hinrichtung ordentlich in die Wege zu leiten erforderte genaueste Planung. Soldaten, Pferde und Wagen, der Scharfrichter aus Tübingen mussten bestellt werden, ein Zimmermann musste den Galgen überprüfen, ein tüchtiger Seiler die Stricke, man musste die Wiese auf dem Galgenbuckel mähen. Dem Amtsdiener Roth befahl Schäffer, drüben im Rathaus einige leere Mansardenzimmer mit Betten und Stühlen auszustatten; bereits am Abend sollten die Todeskandidaten dorthin gebracht werden.
Das sei zu früh, murrte Roth, er könne die Möbel nicht einfach herbeizaubern.
»Ach was«, fuhr Schäffer ihn an. »Bemühen Sie sich gefälligst darum. Und besorgen Sie sich für Dienstag einen besseren Rock, der Kragen ist so speckig, dass es einen graust.« Es war das erste Mal, dass er den Amtsdiener vor Zeugen maßregelte, und Grau hatte den Eindruck, dass Roth, der erst wie versteinert dagestanden hatte, ins Schwanken geriet. Gleich aber milderte Schäffer seine Attacke, indem er hinzufügte: »Nun ja, holen Sie sich bei meiner Frau einen ausgedienten Rock aus meiner Garderobe. Der wird sauberer sein als Ihrer.«
»Mit Verlaub«, brachte Roth hervor, »ich habe schon einige Male um neue Amtskleidung gebeten.«
Schäffer zuckte mit den Achseln. »Dafür fehlt uns das Geld. Gehen Sie jetzt!«
Er hatte sich einen großen Krug Wasser bringen lassen, trank daraus in langen Zügen. Für Grau gab es kein Wasser; nur einmal, als Schäffer zwischendurch seine Dispositionen mit dem Bürgermeister und dem Leutnant Bräunlein besprach, ging Grau hinaus auf den Marktplatz, tauchte rasch den Kopf in den Brunnen und trank, im Schatten der jungen Kastanienbäume, so hastig aus dem Rohr, dass sein Magen sich vom kalten Wasser zusammenkrampfte.
Als sie mit dem Wichtigsten durch waren, fragte Grau, ob der Herr Oberamtmann nicht eine letzte Zusammenführung von Hannikels Familie erlauben wolle. Auf würdige Weise Abschied zu nehmen, könne man den Angehörigen bestimmt nicht verweigern, besonders Dieterle nicht, dem kleinen Sohn, der doch, wie sich gezeigt habe, außerordentlich am Vater hänge.
Einen Moment lang sah es aus, als falle Schäffer in den merkwürdigen Zustand zurück, der ihn am Mittag derart verändert hatte; er verzog den Mund, schlug wieder nervös mit der Handkante auf den von Akten übersäten Schreibtisch. »Sie haben sich schon mehrmals für den Jungen eingesetzt, Schreiber Grau, ich erinnere mich. Nun gut, ich werde schauen, was sich machen lässt. Ich bin kein Unmensch, wie Sie wissen sollten.« Das Klopfen, mit dem er seine Worte begleitet hatte, beschleunigte sich. »Schluss für heute, ich gehe nach Hause. Man wartet auf mich.«
Grau nickte bedrückt. Dieterle hatte er am Morgen nicht gesehen, der Junge hatte sich wohl irgendwo versteckt, als man seinem Onkel und den zwei anderen ihre Hinrichtung ankündigte. Obwohl er Schäffers Verstimmtheit spürte, hakte er nach: »Was geschieht denn jetzt mit dem Jungen? Im Schreiben der Fakultät sind nur die Zuchthausurteile gegen die Erwachsenen aufgeführt.«
Schäffer erhob sich und knöpfte ungeduldig seinen Rock zu; eine Schweißschwade erreichte Grau. »Er kommt ins Waisenhaus nach Ludwigsburg, habe ich das nicht schon gesagt? Diese Entscheidung liegt in meinem Ermessen.«
Grau räusperte sich. »Er ist ja aber keine Vollwaise.«
»Wohin soll er sonst? Die Mutter wird nebenan im Zuchthaus untergebracht. Mag sein, dass ihm zwischendurch gestattet wird, sie zu besuchen. Er soll lernen, was ihn bisher keiner gelehrt hat, Disziplin und Arbeitsamkeit. Aber bleiben wir realistisch. Die Verstocktheit werden wir diesem Räuberfrüchtchen nicht austreiben. Wäre er jünger, würde ich anders urteilen. Wir versuchen trotzdem unser Bestes mit ihm, der Staat ist dazu verpflichtet.« Er wandte sich zur Tür, die in der Julihitze aufgequollen war und heftig
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