RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
stattfindet, genieße ich. Allerdings ist es heiß, wenn man geradewegs aus dem europäischen Winter kommt. Meist reise ich eine Woche vor dem Turnier an, um mich an die 10-stündige Zeitverschiebung gegenüber Spanien zu gewöhnen. In meinem Fall wird diese Anpassung durch die Tatsache erschwert, dass der Januar ein wichtiger Monat im spanischen Fußballkalender ist und ich zu nachtschlafender Zeit aufstehen muss, um Real Madrid spielen zu sehen. Wenn Real sehr früh spielt, stelle ich mir den Wecker, schaue, wie das Spiel läuft, und entscheide, ob ich aufstehe oder im Bett bleibe. Liegt Real eine halbe Stunde vor Spielende 3:0 in Führung, drehe ich mich noch einmal um und schlafe weiter. Steht es 0:0, ist die Spannung für mich zu groß, und ich muss aufbleiben und mir das Spiel bis zum Ende ansehen. Sollte ich aber an diesem Tag selbst einen Wettkampf haben, stehe ich nicht in aller Herrgottsfrühe auf, so wichtig das Fußballspiel auch sein mag. Die Arbeit geht vor.
Zu Beginn der Australian Open 2009 hatte ich das Gefühl, dass meine Siegchancen ebenso gut waren wie ein halbes Jahr zuvor in Wimbledon. Mit anderen Worten, ich war bestens motiviert. Der Bodenbelag war hart, aber weniger schwierig für meine Spielweise als in Flushing Meadows. Der Ball springt höher als bei den US Open, fliegt also nicht so schnell und nimmt meinen Topspin gut an. Allerdings hatte ich nicht mit einem Halbfinale gerechnet, wie ich es dann gegen meinen Freund und Landsmann, den Spanier Fernando Verdasco, bestreiten musste. Letztlich gewann ich, musste aber so hart darum kämpfen, dass ich schließlich körperlich völlig ausgelaugt war. In den anderthalb Tagen, die mir zur Vorbereitung auf das Endspiel gegen Federer blieben, war ich im tiefsten Inneren überzeugt, absolut keine Chance auf einen Sieg zu haben. Das einzige Mal, dass ich mich vor einem Grand-Slam-Finale so gefühlt hatte, war 2006 in Wimbledon. Damals lag es aber daran, dass ich ganz tief in mir nicht an die Möglichkeit eines Sieges geglaubt hatte. Vor dem Endspiel in Australien 2009 rebellierte mein Körper und bettelte um Ruhe. Es kam mir jedoch gar nicht in den Sinn, das Match aufzugeben – bei einem Grand-Slam-Finale kommt das nicht infrage, wenn man nicht gerade kurz vor dem Zusammenbruch steht –, aber ich rechnete mit einer Niederlage von 6:1, 6:2, 6:2 und versuchte, mich mental darauf einzustellen.
Das Halbfinale gegen Verdasco war das längste Match in der Geschichte der Australian Open. In jeder Phase war es unglaublich knapp, er spielte spektakulär und schlug einen ungewöhnlich hohen Prozentsatz an Gewinnschlägen. Aber irgendwie hielt ich dagegen, war zwar in der Defensive, machte aber nur wenige Fehler, und nach 5 Stunden und 14 Minuten gewann ich 6:7, 6:4, 7:6, 6:7, 6:4. Auf dem Platz war es so heiß, dass wir beide uns in den Pausen zwischen den Spielen schnell Kühlpackungen auf Nacken und Schultern legten. Im letzten Spiel, kurz vor dem letzten Punkt, füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich weinte nicht, weil ich eine Niederlage oder auch den Sieg vor mir sah, sondern als Reaktion auf die quälende Anspannung. Den vierten Satz hatte ich im Tiebreak verloren, und das hätte sich in einem so knappen Spiel unter solchen Bedingungen verheerend ausgewirkt, wenn ich nicht auf die letzten Reserven an mentaler Stärke hätte zurückgreifen können, die ich im Laufe von 15 Jahren ständiger Wettkämpfe gesammelt hatte. So konnte ich diesen Rückschlag verwinden und mit der Überzeugung in den fünften Satz gehen, dass es immer noch in mir steckte, zu gewinnen.
Diese Chance bot sich endlich, als ich 5:4 und 40:0 bei Verdascos Aufschlag in Führung lag. Drei Matchbälle hätten eigentlich die Entscheidung bringen müssen, aber so war es nicht. Ich vergab sowohl den ersten als auch den zweiten Matchball. An diesem Punkt wurde mir alles zu viel und ich brach zusammen; mein Schutzschild bröckelte, und der Kämpfer Rafael Nadal, den die Tennisfans zu kennen glauben, offenbarte sich als verletzlicher Mensch. Der Einzige, der das nicht erkannte, war Verdasco, oder aber er war in noch schlechterer Verfassung als ich. Denn auch ihm setzten seine Nerven zu. In einem Augenblick unglaublichen Glücks für mich (und furchtbaren Pechs für ihn) machte er einen Doppelfehler und schenkte mir den Sieg, ohne dass ich auch nur einen Ball hätte schlagen müssen. Körperlich und nervlich völlig erschöpft, ließen wir uns beide auf den Rücken fallen, aber ich raffte
Weitere Kostenlose Bücher