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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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konnte.«
    Während Greg einen runden Stein von einer Hand in die andere fallen ließ, erzählte er Hanna, wie besessen Jim vom Schnitzen gewesen war und wie sehr er ihn für seine Zielstrebigkeit bewundert hatte. »Die Frage, ob er aufs College gehen sollte, stellte sich für ihn überhaupt nicht. Mein Vater hielt nichts von Universitäten und Jim wollte ein anerkannter Holzschnitzer werden, nichts anderes.
    Unsere Wege trennten sich, als ich nach Seattle ging, um zu studieren. Wir sahen uns nur noch selten und dann, im Sommer vor fünf Jahren, als ich für ein paar Tage nach Hause kam, war Jim fort. Mein Vater sagte mir nur, dass er mit einer Frau nach Deutschland geflogen war, um einen Wappenpfahl für ein Museum zu schnitzen.« Greg sah Hanna an und seine braunen Augen verdunkelten sich. »Das ist alles, Hanna. Ich habe keine Ahnung, was danach passiert ist. Warum hat er sich so seltsam benommen? Was war bloß los mit ihm?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie ehrlich. »Ich weiß nur eins, dass ich ihn geliebt habe. Und er liebte mich. Ich muss ihn finden, Greg.«
    Er stand auf. »Besser, du hältst nicht an einer Hoffnung fest, die sich vielleicht nicht erfüllt.«
    »Aber das tue ich nicht«, protestierte sie.
    Greg zuckte mit den Achseln. »Wir tun es doch alle, oder? Wir glauben, Hoffnung sei besser als Gewissheit.«
    »Ich weiß, dass ich Jim verloren habe«, sagte Hanna. »Ich will nur herausfinden, warum. Er hat gesagt, er liebt mich und will mit mir leben – und dann verschwindet er einfach.«
    »Du gibst zu viel auf Worte, Hanna. Worte können keine Sicherheit geben. Man weiß nie, worauf man sich bei einem anderen Menschen einlässt.«
    Hanna schwieg.
    »Na komm«, sagte er, »gehen wir ins Haus. Das Frühstück wartet.«
    Bill war schon zum zweiten Mal an diesem Tag am Kap und überprüfte das Geländer. Er wandte sich gerade zum Gehen, als er Schritte und Stimmen hörte. Greg Ahousat und eine weiße Frau mit kupferrotem Haar traten aus dem Wald. Der Sheriff wusste sofort, wen er vor sich hatte.
    Sie war also doch nicht abgereist.
    Er drückte seine halb aufgerauchte Zigarette am Geländer aus und schob sie in die Schachtel zurück, die in seiner Hemdtasche steckte.
    Greg begrüßte ihn und stellte ihm Hanna vor. Bill musterte sie, während er ihre Hand schüttelte. Hanna lächelte und ihr Lächeln gefiel ihm. Sie wirkte herzlich und hatte schöne klare Augen. Ihr Haar war von einer so aufregenden, ungewöhnlichen Farbe, dass er sich fragte, ob sie echt war.
    Aber noch brennender beschäftigte den Sheriff die Frage, wo Hanna die Nacht verbracht hatte.
    »Danke, dass Sie meinen Autoschlüssel gefunden haben«, sagte die Deutsche. »Ich weiß, wie kalt das Wasser ist.« Sie strich sich eine rote Locke, die ihr in die Stirn gefallen war, hinters Ohr.
    »Ach, das hat mir nichts ausgemacht.« Bill winkte großmütig ab. »Sie haben es ja auch ausgehalten.«
    Hanna lachte. »Ja, aber ich hatte keine Wahl.«
    Fasziniert starrte der Sheriff auf Hannas Sommersprossen. »Ich auch nicht.«
    Greg amüsierte sich kopfschüttelnd. »Ist hier so weit alles okay, Bill?«
    Lighthouse setzte seine Polizistenmiene auf. »Alles bestens. Ich war heute Morgen schon um sechs hier draußen und habe das Geländer überprüft. Das ist mein zweiter Rundgang.«
    Hannas Blick wanderte fragend zwischen Greg und dem Sheriff hin und her.
    Der Feigling hat ihr nichts erzählt, dachte Bill. »Wir vermuten, dass das Geländer absichtlich sabotiert worden ist«, sagte er.
    Hannas Augen veränderten ihre Farbe, so etwas hatte er noch nie gesehen. Bill bemerkte die tiefe Verunsicherung in ihrem Blick.
    »Wieso sollte jemand Menschen in Gefahr bringen, die er überhaupt nicht kennt?«, fragte sie.
    »Eben aus diesem Grund«, antwortete er. »Weil er sie nicht kennt. Einige unter uns sind der Meinung, dass sich alles Neue und Fremde negativ auf unser Volk und auf das, was von unserer alten Lebensweise geblieben ist, auswirkt. So wie es in der Vergangenheit nun mal leider der Fall war. Diese Leute wollen den Fortschritt um keinen Preis ins Reservat lassen. Offensichtlich gibt es sogar einige unter ihnen, die den Tod Unschuldiger in Kauf nehmen würden, um am Vergangenen festzuhalten. Das ist eine verdammt ernste Angelegenheit und die Polizei in Neah Bay wird der Sache nachgehen.«
    Bill sah die Falten auf Gregs Stirn und wusste, dass er zu viel erzählt hatte, aber nun war es einmal passiert.
    »Einen Holzsteg und ein neues Geländer

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