Rampensau
ein verfressenes Schwein sein, aber er war kein übler Kerl. Nicht einmal Che, der Angeber, hatte nur schlechte Seiten.
Obwohl ihr die Glieder schwer wurden und sie kaum noch die Augen offen halten konnte, hörte sie, wie Brunst »Schwein Nummer drei« rief. Musste sogar der alte Doktor Pik Wache halten? Sollte sie nicht auch besser in den Stall zurückkehren, zu den anderen gehen und ihre Hilfe anbieten? Sie spürte, wie sich Lunke leise grunzend an sie schmiegte. Es fühlte sich gar nicht schlecht an, so Borste an Borste zu liegen. Ihr fielen die Augen zu. Die Gedanken an den weißhaarigen Mann, der irgendwo lauerte, verschwammen. Sie nahm noch wahr, wie Lunke an ihrem Ohr zu knabbern begann. Erstaunlich zärtlich für einen wilden Schwarzen – das war ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief.
15
Bertie lächelte sie an, er duftete nach frischer Wäsche – so roch eigentlich kein Schwein, und seine Klauen schwebten ein knappes Stück über dem Boden. Merkwürdig fand sie das, gleichwohl freute es sie, ihn in bester Gesundheit zu sehen. Auch mit seinem Hals schien alles in Ordnung zu sein.
»Du bist ja gar nicht richtig tot«, sagte sie zu ihm.
Er nickte. »Ich bin jetzt ein Traumschwein«, entgegnete er fröhlich. »Macht auch Spaß. Leider muss ich auf richtiges Fressen verzichten, und an einem Baum kratzen kann ich mich auch nicht mehr.«
Kim fühlte, dass seine Heiterkeit sie ansteckte. »Kommst du zu uns zurück?«, fragte sie. »Wir könnten noch mal ›Ich sehe was, was du nicht siehst‹ spielen.«
Bertie verzog das Gesicht. »Bedaure. Ich bin nun eine Art Bote. Muss anderen Dinge mitteilen.« Es klang ein wenig wichtigtuerisch.
»Botschaften?«
Er nickte wieder. »Lunke soll ich sagen, dass er sich nicht ständig an den jungen Eichen reiben soll.«
»Du redest mit Bäumen?«
»Die Bäume sprechen zu mir, ja«, entgegnete Bertie. »Aber auch andere Wesen. Brunst soll nicht so viel an seinen Vater denken. Dem alten Herrn gefällt nicht, dass sein Sohn so traurig ist.«
»Brunst ist traurig?«
»Deshalb frisst er doch so viel, weil er um seinen Vater trauert«, erwiderte Bertie, als müsste jeder – auch Kim – das längst begriffen haben.
»Hast du noch andere Botschaften – vielleicht für Doktor Pik oder für mich?« Kim hatte das Gefühl, als würde Bertie sich vor ihren Augen auflösen. Seine Beine schwebten nicht mehr über dem Boden, sie waren kaum mehr zu sehen, als beständen sie aus Nebel.
Bertie lächelte mild. »Sag Che, er soll nicht länger den Revoluzzer spielen, weil er in dich verliebt ist. Mit seinem Gerede wird er dich nie beeindrucken.«
»Che ist in mich verliebt?«
»Na klar. Das musst du doch längst gemerkt haben! Vom ersten Augenblick an, als du auf den Hof kamst, war er in dich verliebt. Deshalb kann er auch den wilden Schwarzen auf den Tod nicht ausstehen.«
Bertie begann vor ihren Augen ein wenig zu flirren, als würde er sich gleich auflösen.
»Und? Hast du auch für mich eine Botschaft?«, fragte Kim hastig.
Er nickte. »Für dich habe ich tatsächlich etwas: Du sollst ein Auge auf Dörthe und das Kind haben, das in ihrem Bauch wächst.«
»Wer sagt das und warum?« Kim hätte Bertie am liebsten angestupst, so merkwürdig durchsichtig sah er plötzlich aus.
»Keine Ahnung.« Auch seine Stimme wurde immer schwächer.
»Ist Dörthe in Gefahr?«
Aber Bertie antwortete nicht mehr. Er war einfach nicht mehr da. Kim versuchte ihn herbeizugrunzen, und dann spürte sie, wie jemand ihr in die Flanke stieß.
»Muss jetzt leider gehen, Babe«, hauchte Lunke ihr zu. »War eine schöne Nacht mit dir. Sollten wir bald wiederholen.« Zärtlich biss er ihr abermals ins Ohr.
Sie schlug die Augen auf und sah noch, wie er im Dickicht verschwand. He, wollte sie ihm nachrufen, hast du Bertie auch gesehen? Er hat gesagt: Du sollst aufhören, dich an den jungen Eichen zu reiben! Woher weiß er das überhaupt?
Kim erhob sich schwerfällig. Es war noch früh. Erste, zarte Sonnenstrahlen krochen über den Horizont. Eigentlich war sie keine Frühaufsteherin, aber irgendwie war in letzter Zeit alles anders. Langsam schritt sie zum Durchschlupf zur Wiese. Doktor Pik lag mitten auf dem Erdwall und schlief. Sogar im Schlaf wirkte er erschöpft, als hätte er tatsächlich die halbe Nacht Wache gehalten.
Was war eigentlich mit Che?, fragte Kim sich. Wieso hatte er die ganze Nacht im Stall bleiben können? Und warum hatte Bertie gemeint, Che sei in sie verliebt, wo er sie
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